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Systemisches Konsensieren im Nordrhein-Westfälischen Tischfußballverband
 
Interview mit Jens Uhlemann
Das Interview führten wir am 4. September 2020 per Skype.
Jens Uhlemann, Präsident vom Nordrhein-Westfälischen Tischfußballverband und Unternehmensberater im Bereich Entscheidungsprozesse.
 
 
Jens Uhlemann

Wir kennen uns aus der Online-Übungsgruppe Systemisches Konsensieren zu der Tom Müller einmal im Monat einlädt. Mich interessiert, wann du zum ersten Mal mit SK in Berührung gekommen bist.
Das muss ungefähr 2011 gewesen sein. 2008 hatte ich den Nordrhein-Westfälischen Tischfußball-Verband gegründet und war für die Mitgliederversammlungen verantwortlich. In den ersten zwei, drei Jahren waren die sehr chaotisch. Da sitzen sechzig, siebzig Leute, die alle etwas zu sagen haben, die alle ihre Meinung haben, die alle Vorschläge haben, und die Diskussionskultur war halt schrecklich. Ich habe versucht, das in den Griff zu kriegen, aber es hat nie wirklich funktioniert. Ich war sehr frustriert und wollte eigentlich schon hinschmeißen. Dann habe ich mir aber gesagt, vielleicht liegt es ja nicht nur an mir, vielleicht liegt es ja auch irgendwie am System und vielleicht kann man es auch anders machen. Ich habe mich dann auf die Suche nach Methoden gemacht, die Gruppenentscheidungen effizienter und konliktfreier gestalten. Als ich das Systemische Konsensieren gefunden und analysiert hatte, war mir klar, dass ich damit einen Schlüssel gefunden hatte, der viele Probleme in meinem Verband, aber auch sonst in der Gesellschaft lösen kann.

Kannst du dich noch erinnern, wie du SK gefunden hast, also wo du zum allerersten Mal darüber gelesen hast?
Ich bin bei meiner Online-Recherche im Internet zum ersten Mal damit in Kontakt gekommen. Ich bin auf die Seite vom SK-Prinzip gestoßen und habe erstmal alles auf dieser Seite gelesen und direkt das Buch bestellt. Danach habe ich alles über Systemisches Konsensieren gelesen, was ich dazu finden konnte.

Erinnerst du dich noch, welches Buch das erste war?
Das war "Wie wir klüger entscheiden. Einfach - schnell - konfliktlösend" von Siegfried Schrotta.

Ich würde gerne nochmal nachfragen was den Tischfußball-Verband angeht. Machst du das beruflich oder ist das ehrenamtlich?
Die Arbeit im Verband ist ehrenamtlich. Es hat sich daraus aber ergeben, dass ich beruflich Livestream-Übertragungen für Tischfußball-Veranstaltungen mache. Es ist also gemischt, auf der einen Seite mache ich sehr viel ehrenamtlich und auf der anderen Seite gibt es Livestreaming von Events, womit ich Geld verdiene.

Dann hast du ja dein Hobby sozusagen zum Beruf gemacht. Glückwunsch!
Ja, kann man so sagen. Ich habe viel Aufbauarbeit betrieben und bin tief in der Szene drin. Ich habe eine Vision von Tischfußball und dank SK habe ich auch eine Strategie, mit der ich meine Ziele erreichen möchte.

Kannst du sagen, was deine Vision für den Tischfußball ist?
Für viele ist Tischfußball etwas, was man aus der Kneipe oder dem Jugendtreff kennt. Man stellt sich halt hin und spielt. Aber wie das so ist, immer wo Wettbewerb ist, also immer, wo Menschen gegeneinander antreten, hat immer irgendeiner den größeren Ehrgeiz und so kommt Spannung ins Spiel. Meine Vision für Tischfußball ist, den Sport so aufzubauen, wie man das aus anderen Sportarten kennt. So dass wir Spitzensport anbieten können, der auch medial begleitet wird und für Fans attraktiv ist. Im Moment ist die Situation die, dass sich alle Angebote nur an Spieler richten, also an die, die auch aktiv Tischfußball spielen. Eigentlich am meisten an die, die ambitioniert spielen. Um aber einen Sport groß zu machen, braucht es Information und mediale Darstellung für die Menschen, die sich dafür interessieren. Meine Motivation ist, den Tischfußball-Sport so aufzubauen, dass er von Spitzenspielern ausgeführt und von Fans verfolgt werden kann.

Da fällt mir das Dartspielen ein, das jetzt auch im Fernsehen übertragen wird und ganz spannend sein kann.
Ja genau. Mit dem Dartphänomen habe ich mich viel auseinandergesetzt. Von dieser Entwicklung konnte ich auch viel lernen.

Ich wünsche dir viel Erfolg mit deinem Vorhaben!

Ich würde gerne zurückkommen zum Systemischen Konsensieren. Kannst du sagen, welche Aspekte für dich besonders wichtig sind?
Für den Verband, aber auch global, ist für mich der entscheidende Punkt, dass man bei SK den Menschen systembedingt zuhören muss. Bei SK gibt es eine Prozessstruktur, die eine sehr wertschätzende Kommunikation ermöglicht.
Die größten Probleme in Diskussionen ergeben sich meist dadurch, dass die Leute immer in Lösungen denken und sich gegenseitig davon überzeugen wollen. Der Prozess des Systemischen Konsensierens ist so aufgebaut, dass man sich Schritt für Schritt mit den verschiedenen Vorschlägen der möglichen Lösung nähert, indem man einen kreativen Raum zur Verfügung stellt. Und wenn dieser kreative Raum gefüllt ist, kann man in die Analyse gehen, indem man in der Gruppe der Entscheider herausfindet, wo Widerstände sind und wodurch sie ausgelöst werden. Wenn man seinem Gegenüber zuhört und erkennt, woher die Widerstände kommen, dann kann man diese Widerstände auch aufgreifen und damit das Konfliktpotenzial, was in der möglichen Entscheidung steckt, verringern, indem man gemeinsam an einem besseren Vorschlag arbeitet. Das ist für mich das Alleinstellungsmerkmal vom Systemischen Konsensieren.
Alle anderen Entscheidungsverfahren, die ich bis dahin gefunden hatte, basieren auf Zustimmung. Ich habe mich immer gefragt, warum Entscheidungen, die von einer Mehrheit beschlossen wurden, am Ende trotzdem von viel Unzufriedenheit begleitet wurden - am Ende die Leute das, was beschlossen wurde, doch nicht umsetzen - sie ein Jahr später genau mit dem identischen Vorschlag wiederkommen und wieder von vorne anfangen, das Gleiche zu diskutieren. Durch SK habe ich verstanden, dass wir mit dieser Zustimmung und dem Mehrheitsprinzip nicht sehr effizient sind. Da fehlte mir irgendwie etwas. Ich habe dann gefragt: "Hey, warum machst du denn denselben Vorschlag jetzt nochmal?" Und da wurde mir gesagt: "Weil ich ein anderes Ergebnis will."
Das Systemische Konsensieren gibt mir ein Werkzeug an die Hand, um mein Gegenüber besser zu verstehen und dafür zu sorgen, dass in einer Gruppe mit Entscheidern alle Informationen aufgetischt und auch behandelt werden. Wenn man Informationen zurückhält oder wenn man nur für sich selbst arbeitet, gegen die anderen, dann kommt man beim Systemischen Konsensieren nicht weiter.
Und noch etwas: Ich finde auch wichtig, dass man beim Systemischen Konsensieren beliebig viele Vorschläge mit beliebig vielen Menschen bewerten kann. Das heißt, es geht kein Vorschlag unter. Jeder, der einen Vorschlag machen will, kann dies auch tun.

Wenn ich dir zuhöre Jens, habe ich den Eindruck, dass du kein Typ bist, der an Macht interessiert ist.
Nö. Also für mich liegt die Macht im Individuum. Jeder Mensch hat Wissen und jeder Mensch hat Können, und der eine kann dieses besser und der andere kann jenes besser und es macht am meisten Sinn, wenn man das miteinander vereint und herausfindet, wo in der Gruppe sind unsere Stärken und wie können wir unser Wissen einbringen, um dann einfach das Bestmögliche herauszuholen. Für mich ist es unmöglich, dass ein Mensch das ganze Wissen für einen Verein oder sonst irgendetwas haben kann. Und dementsprechend ist wichtig, das Wissen, was vorhanden ist, zusammenzutragen und dass alle die Möglichkeit bekommen, sich äußern zu dürfen. Am Ende ist es halt auch einfacher, wenn viele dem Konsens recht nahe sind und auch verstehen warum.
Unser Verband hat fast 50 Mitgliedsvereine mit insgesamt fast 1000 Mitgliedern und da wird teilweise gegen Veränderungsvorschläge mit: “Das haben wir immer schon so gemacht.” argumentiert. Oder sie sagen: "Nee, meine Idee ist einfach die beste und alle anderen Ideen sabotiere oder bekämpfe ich."
Beim Mehrheitsprinzip und wo es um Zustimmung geht, gibt man denen, die nicht an einer gemeinsamen Lösung interessiert sind, sehr viel Macht. Es ist ja nicht nur die Macht von denen, die dafür sind, sondern auch von denen, die dagegen sind, weil sie mit dem Wiederholen von Argumenten, die bereits genannt wurden, keine konstruktive Diskussion zulassen.
Um auf deine Frage zurückzukommen. Macht ist für mich etwas, was ich nicht benötige, und ich glaube auch, sie sollte nicht auf eine einzige Person konzentriert sein.

Wie sieht das denn mit Leuten aus, die nicht mitgehen, die blockieren, die ihre Meinung durchsetzen wollen?
Das Systemische Konsensieren ist genau das, was mir die Möglichkeit gibt, diese Leute einzufangen. Die sitzen dann da und sagen: "Ich bin dagegen!" Mit dem Systemischen Konsensieren habe ich die Möglichkeit zu fragen: "Was genau hast du dagegen?" Die Person kann sich dann dazu äußern. Und dann habe ich auch die Möglichkeit zu sagen: “Wie lautet dein Vorschlag?” Den Vorschlag nehmen wir auf und besprechen und bewerten ihn, sowie alle anderen Vorschläge auch. Dadurch, dass diese Person Redemöglichkeit hat, liegt es an ihr selbst so produktiv wie möglich zu sein. Wenn jetzt jemand seinen Vorschlag nicht vernünftig und nachvollziehbar präsentiert und nicht alle Informationen dazu rausgibt, dann kann es systembedingt passieren, dass der Widerstand gegen diesen Vorschlag hoch ist, also eine geringe Akzeptanz dafür in der Gruppe vorhanden ist.
Es ist ja so, dass jeder Einzelne, der an der Entscheidung beteiligt ist, jeden einzelnen Vorschlag bewertet. Am Ende kommt dann ein Ergebnis raus, welches die Akzeptanz für die einzelnen Vorschläge sehr genau darstellt. Erfahrungsgemäß ist es so, dass tatsächlich die Vorschläge der Blockierer und Verweigerer oft eine ganz geringe Akzeptanz haben.

Könntest du vielleicht ein konkretes Beispiel erzählen?
Ja klar. Wir reden von einer Mitgliederversammlung des Verbands. Vorne sitzt der Vorstand. Das sind fünf Personen wozu ich gehöre. Und die Delegierten der Vereine, das sind so sechzig bis siebzig Personen. Wir alle wollen gemeinsam Entscheidungen treffen.

Und wie sitzt ihr im Raum? Der Vorstand vorne und die anderen?
Vorne der Vorstand und die Mitglieder sitzen frontal gegenüber. Das Setting ergibt sich sozusagen aus der Menge der Leute. Das Beispiel ist aus einem Jahr wo ich noch nicht systemisch konsensiert habe. Da mussten wir einmal eine Diskussion abbrechen weil jemand gesagt hatte: "Am letzten Spieltag können wir ja alle Mannschaften zusammen an einen Spielort holen und für Familien können wir eine Kinderhüpfburg aufbauen" und was weiß ich noch was alles. Es war einfach so, dass wir für so etwas gar keine Location, kein Personal und auch kein Geld hatten. Auf jeden Fall war es so, dass die Person mit diesem Vorschlag nicht aufhörte, Argumente zu wiederholen und alle anderen Argumente immer wieder infrage zu stellen. Es ging immer weiter und immer weiter, und alle sagten: "Es geht nicht." Trotzdem meinte die Person, dass wir ihr nicht zuhören oder sie nicht ausreden lassen. Weil wir noch andere Themen hatten und klar war, dass wir so zu keiner Lösung kommen, musste ich die Diskussion abbrechen.
Im nächsten Jahr kam ich mit Systemischem Konsensieren in die Veranstaltung und erstmal ging das Spielchen wieder von vorne los. Dann bin ich halt zu demjenigen hingegangen und habe gefragt: "Okay, was ist dein Vorschlag?" Ich habe dann seinen Vorschlag auf die Liste der Vorschläge geschrieben, und wir haben die Vor- und Nachteile von jedem einzelnen Vorschlag besprochen. Zu seinem Vorschlag habe ich gesagt: "Ja, so wie du das hier vorstellst hat es für mich den Nachteil, dass ich jetzt nicht wüsste wie wir das umsetzen sollten, weil die Location fehlt, das Geld fehlt und die Manpower fehlt." Und er hat dann die Vorteile seines Vorschlags benannt, aber wir haben eben nicht diskutiert. Ich habe dann in die Runde gefragt: "Gibt es dazu noch etwas zu sagen, also gibt es noch einen Vorteil oder einen Nachteil, den man benennen sollte?" Niemand hatte mehr etwas dazu zu sagen. Und beim Bewerten der Vorschläge war es dann hinterher so, dass dieser Vorschlag genau ein Prozent Akzeptanz hatte, und zwar seine eigene Stimme. Und damit hatte sich das erledigt. Der ist übrigens nie wieder zu einer Versammlung gekommen.

Wer moderiert bei euch diese Versammlungen?
Ich. Ich habe mir das alles selber beigebracht. Das ist Learning by Doing. So wie ich es verstanden habe, habe ich versucht, es umzusetzen und von Jahr zu Jahr habe ich es verbessert. Hier an dem Punkt kann ich sagen: Wenn ich die Möglichkeit habe, Entscheider und Moderator zu trennen, also es nicht in einer Person zu sein, dann würde ich das auch immer machen. Im Verband kann ich mich nicht für den Moderator entscheiden, weil ich ja im Amt bin als Präsident. Aber aktuell habe ich gerade ein Amt beim deutschen Tischfußballbund niedergelegt und bin raus aus der Rolle eines Entscheiders, um dort als Berater und Moderator die Entscheidungsprozesse leiten zu können.

Kannst du sagen, was der Hintergrund dafür ist, lieber die Rolle des Moderators für Systemisches Konsensieren einzunehmen als ein Entscheider zu sein?
Ich habe lange darüber nachgedacht. Ich habe eine Vision von Tischfußball und ich will auch meine Ziele erreichen, aber ich habe gemerkt, dass es wichtig ist, dass Entscheidungen getroffen werden, die einem Konsens nahe kommen. Und ich bin der Einzige im Vorstand, der das Systemische Konsensieren ausübt und moderiert und moderieren kann. Die Bereitschaft von den anderen Vorstandsmitgliedern, einen Moderator einzukaufen ist ziemlich gering. Wir sind ein ehrenamtlicher Verein und ein Moderator arbeitet mit Wirtschaftspreisen, aber wir haben nicht so viel Geld. Ein Tagessatz für ein Moderator ist einfach sehr hoch. Meine Leidenschaft liegt wirklich im Systemischen Konsensieren - zu sehen, dass Menschen konsensnahe Entscheidungen treffen. Mir geht es weniger um den Inhalt der Entscheidungen. Wenn ich sehe, dass eine Gruppe von zehn Leuten eine Entscheidung trifft und alle nachher glücklich aus dieser Runde rausgehen, dann kann ich diese Entscheidung so doof finden, wie ich will, und ich kann sagen: "Verrückt, was die entschieden haben, ich hätte das so niemals entschieden." Aber ich merke einfach, dass mein Herz aufgeht, weil ich weiß, die haben diesen Vorschlag jetzt mit voller Überzeugung gewählt, weil es einfach der Vorschlag ist, der in dieser Gruppe mit diesen Entscheidern in diesem Moment dem Konsens am nächsten kommt. Und das finde ich viel wichtiger, als meine eigene Meinung durchzusetzen.

Hat es bei euch mal den Moment gegeben, an dem ihr entschieden habt, das Systemische Konsensieren anzuwenden, sozusagen als Ersatz für das Abstimmen nach dem Mehrheitsprinzip, oder hast du es bestimmt?
Das habe ich bestimmt. Ich habe lange darüber nachgedacht und bin dann zu der Entscheidung gekommen, dass ich das festlege. Ich habe natürlich mit meinen Vorstandskollegen darüber gesprochen und habe ihnen erklärt, wie das geht und was da passiert, und die haben es für gut befunden. Und selbst wenn es dazu käme, dass nicht mit SK abgestimmt werden soll, dann würde ich es nutzen, um ein Stimmungsbild zu erzeugen.

Und wie hast du es umgesetzt? Hattest du Material?
Die Vorschläge habe ich alle niedergeschrieben und mit dem Beamer projiziert, so dass jeder alle Vorschläge sehen konnte. Ich habe Zettel zum Bewerten ausgedruckt, und dann bin ich jeden einzelnen Vorschlag mit allen durchgegangen und habe gesagt: "Wenn ihr diesem Vorschlag jetzt eine 0 gebt, dann bedeutet das, dass ihr diesen Vorschlag nicht ablehnt und keinen Einwand habt und keinen Widerstand spürt. Je mehr ihr gegen einen Vorschlags seid, umso höher muss eure Zahl sein." Das habe ich am Anfang bei jedem Vorschlag wiederholt, wiederholt, wiederholt. Bis die Leute es in der Birne drin hatten und keine Fragen mehr kamen: "Hey, was genau ist jetzt nochmal 0 und was genau ist 5 und was genau ist 10."
Wenn man das Systemische Konsensieren ein Mal verstanden hat, und ein Mal erlebt hat, und man muss auch sagen bewusst erlebt hat, dann kenne ich keinen, der ankommt und sagt, das ist Unsinn.
Wenn man sich überlegt, damals haben wir bei unseren Veranstaltungen acht, neun Stunden zusammen gesessen und haben uns gestritten und diskutiert und sind oft zu halbgaren Lösungen gekommen, weil es ja doch irgendwann mal entschieden werden musste. Von acht, neun Stunden Diskussion und Krieg sind wir jetzt bei drei, dreieinhalb Stunden angelangt. Und die Veranstaltungen sind genau die gleichen. Es ist heute wie ein Kaffeekränzchen, wo jeder seinen Kuchen ißt, und dann wird ein bisschen gequatscht und ausgetauscht und jeder weiß am Ende: Jou, ich muss jetzt gar nicht diskutieren, ich kann am Ende alles, was ich denke, in meine Bewertung einfließen lassen. Und das Schöne, also das Allerschönste daran ist nicht, dass dabei so viel Zeit gespart wird und dass am Ende alle zufrieden sind, sondern dass es keine wiederkehrenden Vorschläge mehr gibt. Alles, was wir bis jetzt mit Systemischem Konsensieren entschieden haben, ist so klar. Da kommt keiner ein Jahr später und sagt: "Hier, ich will nochmal." Bei uns ist auch noch nie ein Lösungsvorschlag angenommen worden, der unter 70 Prozent Akzeptanz lag, oder wenn, dann war es ganz knapp. Wenn man es umrechnen will, dann haben wir immer diese Zweidrittel Mehrheit. Wir sind eher immer so bei 80 Prozent Akzeptanz aufwärts. Und das rafft jeder und kommt dann nicht nochmal an und sagt: "Ich mache meinen Vorschlag jetzt einfach nochmal, weil ich glaube nicht daran, dass die Leute das so wollen." Die Zahlen sind so mächtig und so aussagekräftig..

Weißt du vielleicht ob der eine oder die andere diese Erfahrungen weitertragen, vielleicht in ihre Arbeit oder in andere Gruppen?
Es kommen Nachfragen, ja. Und sie berichten über private oder berufliche Situationen und sie merken, dass das Systemische Konsensieren ihnen vielleicht weitergeholfen hätte. Aber ob sie es dann weiterverfolgen, das weiß ich nicht.

Konsensierst du auch im privaten Bereich?
Ich konsensiere überall, im Privaten, überall, alles.

Hast du Lust, ein privates Beispiel zu erzählen?
Ja. Wir waren in Asien. Eine Gruppe von vier Personen, also drei Freunde und einer, der in Asien dazugestoßen ist. Wir hatten diesen Rhythmus, dass wir jeden oder jeden zweiten Tag weitergereist sind. Dann kamen wir an einen Ort in Kambodscha, an dem es uns besonders gut gefallen hat. Als dann anstand weiterzureisen, hat man irgendwie schon so gemerkt, der eine will weiter, der andere kann sich nicht so richtig äußern, naja und dann stand auf einmal die Frage im Raum: "Sollen wir denn überhaupt weiterreisen?" Und da habe ich dann einfach Stifte und Zettel rausgeholt und gesagt: "Hier, passt mal auf, jeder kriegt einen Stift und einen Zettel und wir machen jetzt mal eine Liste mit Vorschlägen was wir machen können." Niemand von denen kannte Systemisches Konsensieren, aber alle haben mitgemacht und wir haben dann aufgeschrieben, was an Vorschlägen aus der Runde kam. Ich glaube, wir hatten vier oder fünf Vorschläge dazu, wie es weitergehen sollte. Ja und dann habe ich ihnen kurz erklärt und gesagt: "Hier bei Vorschlag eins, denk mal genau darüber nach, wo du da stehst von null bis zehn." Ich gebe den Leuten immer so einen Anhaltspunkt mit der Zahl fünf, wo ich sage: "Wenn du bei der fünf stehst, dann siehst du bei dem Vorschlag ungefähr so viele Vorteile wie Nachteile. Wenn du mehr Vorteile als Nachteile siehst, dann muss deine Zahl kleiner werden, und wenn du mehr Nachteile als Vorteile siehst, dann muss sie größer werden." Und so haben wir dann konsensiert und am Ende war es so, dass mit Abstand die Akzeptanz am höchsten dafür war, einfach dazubleiben. Obwohl bei allen so ein bisschen rumgespukt ist: Ja, jetzt sind wir schonmal hier und wir können doch da noch hinfahren oder das noch vom Land sehen und so weiter. Aber am Ende haben wir einfach gesehen, und das war eindeutig, wir wollen einfach noch eine Nacht bleiben.

Wir haben bisher noch nicht über die Passivlösung gesprochen. Hattest du bei diesem letzten Beispiel die Passivlösung auf der Liste?
Nein. Oder vielleicht doch, aber dann nicht bewusst.

Und wie ist das, wenn du im Verband moderierst, setzt du da die Passivlösung auf die Vorschlagsliste?
Ja. Die Passivlösung ist ja der Status Quo. Bei Satzungsänderungen schreibe ich immer als erstes die bestehende Regel auf die Vorschlagsliste und sage, das ist der Vorschlag, der sowieso im Raum steht. Ich nenne das dann aber nicht Passivlösung, ich benutze den Begriff gar nicht.

Kannst du bitte mal ein Beispiel machen?
Zum Beispiel die Frage: Wann soll der Spieltag beginnen? Um 10 Uhr, um 11 Uhr, um 12 Uhr oder um 13 Uhr. Im Moment startet er immer um 12 Uhr. Das heißt, diesen Vorschlag schreibe ich einfach hin, und dann sage ich: "Den 12 Uhr Vorschlag haben wir ja schon, den muss niemand machen, weil das ist die aktuelle Regelung." Meine Erfahrung ist, dass die Leute sich auf die Vorschläge konzentrieren und ich sage: "Denkt jetzt doch mal genau über diese 12 Uhr nach." Ich möchte nicht, dass die denken: Ey, das haben wir schon immer so gemacht. Ich möchte nicht, dass die darüber nachdenken: Was ist die Veränderung, was ist nicht die Veränderung. Ich möchte die soweit wie möglich von diesen psychologischen Einflüssen weghalten und dass sie sich bewusst darüber werden, wo sie wirklich stehen, was diese Frage nach der Uhrzeit angeht.

Als Entscheidungsbeteiligter und Präsident hast du ja zu dieser Frage auch klar eine Meinung. Wie ist das jetzt für dich, wenn du in der Moderatorenrolle bist, wie gehst du da mit deiner Meinung um?
In diesem konkreten Fall bin ich in der Doppelrolle und das wissen auch alle. Ich sage auch ganz klar, was meine Meinung ist. Wir haben ja vorhin über Macht gesprochen. Die liegt ja nicht mehr bei mir. Das Systemische Konsensieren sorgt ja dafür, dass das nicht geht, den Entscheidungsprozess zu manipulieren. Als Moderator sehe ich mich als Hüter dieses Prozesses und mir ist es auch ein Anliegen und ich will das ja, und dementsprechend moderiere ich total neutral. Ich gehe nicht hin und widerspreche jemandem oder sonst irgendetwas, sondern ich stelle einfach die Frage: "Hat hier noch jemand einen Vorteil zu benennen, hat noch jemand einen Nachteil zu benennen." Und ich lasse die Äußerungen einfach so stehen. Ich sage natürlich auch meine Meinung: "Ich möchte euch darauf hinweisen, da und da liegt ein Vorteil, da und da liegt ein Nachteil." Beim Systemischen Konsensieren gibt es nicht Ja oder Nein, Zustimmung oder Ablehnung, sondern ich sage einfach: "Hey, bewertet das Ding so wie ihr es einordnet."

Vielen Dank für dieses Gespräch.

 

Literaturliste von Jens Uhlemann:

“Smart Entscheiden! Systemisches Konsensieren für Führungskräfte” von Josef Maiwald
“Wie wir klüger entscheiden” von Siegfried Schrotta
“Systemisches Konsensieren: Der Schlüssel zum gemeinsamen Erfolg” von Georg Paulus, Siegfried Schrotta, Erich Visotschnig

   
 
   

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