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Karin Nell, Diplompädagogin, Studienleiterin im Evangelischen Erwachsenenbildungswerk Nordrhein (eeb) und Mitgründerin der „Wohnschule Köln“.

Zum Interview trafen wir uns am 6. Juli 2017 in Köln

 

 
 
Karin Nell

Wohnschule… der Begriff suggeriert ja, dass man Wohnen lernen kann.
Ja. Tatsächlich. Man kann lernen, wichtige Zukunftsfragen zu stellen und Zusammenhänge besser zu verstehen. Zum Beispiel: Was erwartet mich eigentlich, wenn ich einmal hoch betagt und auf Hilfe angewiesen sein werde? Was gibt es dann für mich? Wie entwickelt sich mein nachbarschaftliches Umfeld? Wie und wo will und kann ich im Alter leben und wohnen? Wer sorgt für mich? Inwieweit kann ich auf meine Kinder zählen? Darf ich die belasten?

Wie ist der Begriff Wohnschule entstanden? Kannst du dich erinnern, als er zum ersten Mal fiel?
Ja. Ich erinnere mich. Der Begriff Wohnschule ist im Prozess entstanden.
Uns Dozenten und Dozentinnen der Melanchthon-Akademie war aufgefallen, dass man in Seminaren und Workshops für Ältere fast automatisch auf existenzielle Fragen kommt. Ältere interessieren sich sehr für die Vertiefung von Themen. Da ist man immer sehr schnell beim Thema „Wohnen und Leben im Alter“. Und dann wird auch schnell deutlich, wie komplex das Thema ist und dass man sich unbedingt schlau machen sollte, bevor man weitreichende Entscheidungen fällt. Irgendwann hat dann jemand gesagt: „Dieses Wissen hätte man uns in der Schule vermitteln sollen!“ Wenn ich mich richtig erinnere, war das der Auslöser für den Satz: „Dann gründen wir eben eine Wohnschule“. Interessant ist, dass der Begriff Wohnschule auf große positive Resonanz bei den Leuten gestoßen ist. Das hat vielleicht damit zu tun, dass die neuen Altersgenerationen Schule nicht mehr mit Rohrstock und Drill verbinden. Wir haben es ja jetzt mit der Nachkriegsgeneration zu tun, die Schule völlig anders erlebt hat. Schule hat vielen Spaß gemacht. Da haben sich für viele neue Perspektiven und Möglichkeiten eröffnet.

Du hast das Konzept 2013 mitentwickelt und mitgeschrieben, und du arbeitest in der Wohnschule als Dozentin. Mich interessiert, welchem Aspekt du in deiner Arbeit besonderes Gewicht gibst.
Ich liebe die Seminarelemente, in denen wir Visionen zum Wohnen im Alter entwickeln und verbildern. Bevor man vorschnell nach Lösungen für Probleme sucht, sollte man erst einmal rumspinnen und die Phantasie spielen lassen. Wir arbeiten dann immer sehr kreativ. Wir bauen z.B. Modelle – aus Papier, aus Streichhölzern, aus Knete. Das kreative Gestalten macht es den Teilnehmenden in den Gruppen etwas leichter, über wichtige Fragen ins Gespräch zu kommen. Während man schneidet oder klebt oder faltet nähert man sich behutsam und manchmal sogar humorvoll den wichtigen Themen.
Man muss überhaupt erst einmal sprachfähig werden. Wie sagt man, dass man Angst davor hat, seine Wohnung nicht mehr ohne fremde Hilfe verlassen zu können? Wie formuliert man seine Angst vor dem Alleinsein? Oft kommt auch Trauerstimmung auf, wenn Menschen daran denken, was sie alles aufgeben oder worauf sie im Alter verzichten müssen.

Könntest du bitte mal ganz konkret von einem Beispiel berichten?
Okay. Wir haben hier in Köln ganz in der Anfangszeit weißes DinA4 Papier, Kleber und Scheren an die Teilnehmenden verteilt und sie dann in kleinere Gruppen eingeteilt. Dann haben wir sie aufgefordert, uns ihre Traumvorstellungen vom Wohnen und Leben im Alter als Modell zu präsentieren. Und da haben sich viele sehr gewundert. Mit so wenig Material ein Modell bauen? Einige Teilnehmende fühlten sich überfordert. Irgendwie haben sie dann einfach angefangen zu basteln. Das ist ja schon eine Erfahrung: Etwas zu tun, was man noch nie oder schon ganz lange nicht mehr getan hat. Es ist bei dieser Aufgabe eigentlich immer das Gleiche: Erst zieren sich alle und dann entstehen die tollsten Modelle. Die sind zum Teil auch super schräg. Wir schauen uns die Modelle dann gemeinsam an und fragen uns: Welche Ideen sind darin zu erkennen? An was werden wir erinnert? Oft bieten die Modelle ideale Projektionsflächen für Ideen, die noch tief in uns verborgen sind.
Die meisten Gruppen bauen Modelle von Wohnprojekten für mehrere Generationen. Sie träumen von gemeinschaftlichem Miteinander. Jeder ist für jeden da. Erst wenn man genauer hinschaut, fällt auf, dass viele von uns schon mit anderen Generationen in einem Haus zusammenwohnen. Trotzdem empfindet man das nicht als Alternative für das Alter. Aber: Was macht ein Wohnprojekt aus?
Wenn man beim Thema „Software“ ist, wird es meistens spannend. Stellt sich Gemeinschaft automatisch ein, wenn wir einen Gemeinschaftsraum einrichten? Ich kann mich erinnern: Eine Gruppe hat mal ein Wohnprojekt aus lauter einzelnen Wohnwagen gebaut. Da haben die Leute aus der Gruppe gesagt: Wir wissen doch noch gar nicht, ob wir uns immer gut verstehen. Wir haben hier ein Modell entwickelt, das es uns ermöglicht, unsere Wohnwagen immer neu zu gruppieren. Das war ein aufregender Gedanke, der hat uns sehr umgetrieben. In einem anderen Seminar hat eine Gruppe ein Hochhaus entwickelt, in dem es eine Gemeinschaftsetage gab: mit einem Café, einer Bibliothek und einem Raum der Stille.


Viele Menschen steigen mit der Erwartung in ein Projekt ein, dass sich mit der neuen Wohnsituation ihr Leben grundlegend verändert. Das tut es in der Regel aber nicht. Man nimmt sich ja immer mit.

 

Wenn ich dir zuhöre, habe ich den Eindruck, als ob du dich, zumindest teilweise, mit dem Thema identifizierst.
Ich finde das Thema hoch interessant Und es hat ja auch mit meinem Leben zu tun. Ich bin jetzt 62 Jahre alt geworden und gehöre inzwischen selbst zur Zielgruppe der Wohnschule. Und ich merke, dass das, was zurzeit als Wohnform für das Alter auf dem Markt ist, nicht wirklich zu meinem Leben passt. Viele Wohnmodelle für das hohe Alter, machen mir richtig Angst. Ich will nicht in einem Pflegeheim wohnen, wo der Pflegenotstand waltet, wo alte Menschen auf dem Flur sitzen und vor sich hin prötteln, mit Bingo unterhalten werden und immer auf gerahmte Kalenderblätter schauen. Ich gehöre zu einer Generation, die durch Eltern und Erzieher ermutigt wurde, Bestehendes in Frage zu stellen und Neues auszuprobieren. Ich will mit hoher Lebensqualität alt werden. Und ich weiß: Dafür muss ich aktiv werden. Gute Lösungen fallen nicht vom Himmel. Im Augenblick beschäftige ich mich hauptsächlich beruflich mit dem Thema - aber ich bin natürlich auch mit großem persönlichen Interesse dabei.

Ist es denn so, dass bei diesem kreativen Ansatz, von dem du erzählt hast, in den Gruppen immer so etwas rauskommt wie Gemeinschaft?
Die meisten von uns haben individuelle Lösungen irgendwo parat: Das sind in der Regel Idealvorstellungen: Gemeinsam mit dem Partner in einer schönen Seniorenwohnung leben, ruhige Lage im Stadtzentrum – „Vorne die Königsallee und hinten die Berge“ hat das mal jemand auf den Punkt gebracht. Oder „Mit jungen und alten Menschen in einem Mehrgenerationenhaus leben – ein tolles Miteinander, jeder hilft dem Anderen“. In der kreativen Arbeit kommen dann auch die Schattenseiten schnell zur Sprache: Was ist, wenn mein Partner oder meine Partnerin vor mir stirbt? Oder: Kann ich mir diese Wohnform überhaupt leisten? Bin ich zu Kompromissen bereit?
Ich arbeite viel mit Künstlerinnen und Künstlern zusammen. Von denen kann man lernen, wie man feste Vorstellungen aufbrechen und dekonstruieren kann. Einfach mal völlig anders auf das Vertraute schauen, das eröffnet neue Perspektiven. Es gibt fast immer diesen Moment der Überraschung. Och! Plötzlich entsteht da etwas Neues. Da hat man dann plötzlich eine Idee, wie man das Thema für sich gut weiterentwickeln kann.

Würdest du sagen, dass sich dieser Überraschungsmoment automatisch beim Dekonstruieren einstellt?
Ja. Der ist inhärent. Und das ist vielleicht auch etwas, das meine Altersgeneration gelernt hat. Wir trauen uns, Formen auseinander zu nehmen und Neues auszuprobieren. Viele von uns sind früh von zu Hause ausgezogen, haben unverheiratet zusammengelebt, haben das klassische Vater-Mutter-Kind-Modell abgelehnt, haben Wohngemeinschaften gegründet und Erfahrungen mit Patchwork-Familien gesammelt. Viele Frauen, die die Wohnschul-Seminare besuchen, leben schon lange als Singles.

Ich habe im Programm der Wohnschule gesehen, dass ihr auch mal einen Workshop angeboten habt mit dem Titel: Die Kunst, alleine zu wohnen. Wie kam es dazu?
Ich habe verschiedene Wohngruppen begleitet und gesehen, wie schwer es den Gruppen oft fiel, sich auf einen gemeinsamen Nenner zu verständigen. Viele Menschen steigen mit der Erwartung in ein Projekt ein, dass sich mit der neuen Wohnsituation ihr Leben grundlegend verändert. Das tut es in der Regel aber nicht. Man nimmt sich ja immer mit. Ich habe die Teilnehmenden in einem Workshop mal gefragt, ob sie mit sich selbst in einer Wohngemeinschaft leben wollten. Da hat eine Frau geantwortet: „Auf keinen Fall, ich bin viel zu schwierig.“
Je mehr wir uns mit den Formen des gemeinschaftlichen Wohnens beschäftigen, desto mehr wird da dem ein oder anderen deutlich: Das Zusammenleben ist eine große Herausforderung, eine Lebensaufgabe. Harmonie kann nicht garantiert werden. Ich muss Kompromisse eingehen. Und plötzlich wird das Alleinwohnen im Alter zu einer echten Alternative.

Für manche…
… für viele! Man kann aus der Kunst lernen, welche Dynamik entsteht, wenn man auch das Gegenthema bearbeitet. Es steht ja ohnehin immer mit im Raum. Viele Ältere kommen in die Wohnschule, weil sie sich für gemeinschaftliche Wohnformen interessieren. Im Workshop „Die Kunst, alleine zu wohnen“ wollen wir ihnen die Möglichkeit bieten, Alternativen zu beleuchten.
Für diesen Workshop haben sich zunächst nur 7 Leute angemeldet und wir haben überlegt, ob wir das Seminar überhaupt stattfinden lassen sollen. Wir haben dann entschieden, dass wir das auch mit wenigen Teilnehmenden durchziehen. Es waren dann aber doch 22 Leute gekommen. Auch Paare. Der reservierte Tagungsraum war viel zu klein. Bei der nächsten Veranstaltung war der Kurs sehr schnell ausgebucht. In der Zusammenarbeit sind wir zu dem Ergebnis gekommen: Das Miteinander in einem Wohnprojekt klappt besser, wenn die Mitbewohner und Mitbewohnerinnen auch gut alleine wohnen können und keine zu hohen oder unrealistische Erwartungen an die anderen stellen.

Kann es denn sein, dass die Leute, die diesen Workshop besucht haben, letztendlich doch in ein gemeinschaftliches Wohnprojekt gehen?
Das ist nicht auszuschließen. Vielleicht sind sie sogar eher bereit, sich auf ein gemeinschaftliches Wohnprojekt einzulassen, wenn nicht die Angst vor dem Alleinsein die Entscheidung beeinflusst. Wenn sie erkennen: Ich habe durchaus Alternativen. Ich kann auch anderswo Zugehörigkeit erfahren. Es ist schon spannend, wie schnell das Thema in den Seminaren auf „Zugehörigkeit“ und „Verbindlichkeit“ kommt. Es wird in den Workshops immer deutlich, dass sich jeder Einzelne für sein soziales Netzwerk engagieren muss. Und dass man gut unterscheiden muss zwischen losen Kontakten, tragfähigen Beziehungen und tiefer Verbundenheit.


Ideal wäre, wenn jeder Wohnschüler und jede Wohnschülerin die Wohnschule mit einem guten Plan B in der Tasche verlassen würde.

 

Eigentlich kann man sagen, dass die Wohnschule Lernfelder schafft und ein Bildungsangebot ist, in dem alle möglichen Facetten des Themas Wohnen auftauchen und bearbeitet werden können… oder?
Ich vergleiche es immer mit Geburtsvorbereitungskursen. Wir wissen als junge Eltern auch nicht, was auf uns zukommt, wenn wir Kinder kriegen. Aber: Wir haben zahlreiche Möglichkeiten, um uns auf diese wichtige Lebensphase vorzubereiten. Wir lernen z.B. Atemtechniken, informieren uns über Kinderpflege, belegen Erste-Hilfe-Kurse und tauschen uns mit anderen Eltern aus. Für das Thema Leben und Wohnen im Alter gibt es vergleichsweise wenig Angebote. Zwar erfährt man viel in Zeitschriften und Broschüren - meistens sind das Informationen über Seniorenwohnungen, Seniorenresidenzen oder Pflegeheime– und es gibt auch gute Wohnberatungsangebote – hier geht es dann um die ideale Höhe der Waschbecken und die ideale Breite der Türen, um die Beseitigung von Stolperfallen oder um eine seniorengerechte Ausstattung. Die existenziellen, persönlichen Fragen werden aber selten behandelt. Dabei sind die so wichtig. Kann ich mir vorstellen, meine Wohnung und meine vertraute Nachbarschaft zu verlassen? Wie kann ich erfahren, was ich wirklich brauche? Wie trenne ich mich von lieb gewordenen Dingen? Und so weiter.

Auf bestimmte Szenarien, die im Alter passieren können, schaut man ja ungern. Da gibt es viel Abwehr und auch Widersprüchliches in einem selbst. Konfrontierst du denn die Leute, die in die Workshops kommen, mit diesen Fragen?
Sagen wir mal so: Es gibt einen behutsamen Einstieg. Das ist ganz wichtig. Und es geht nie darum, was ich für wichtig halte. Es geht um die Fragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Was ist für sie interessant? Womit möchten sie sich beschäftigen? Es geht eigentlich darum, eine Form anzubieten, damit die Fragen überhaupt entwickelt und formuliert werden können. Die Fragen stehen im Vordergrund. Dann erst versuchen wir, gemeinsam Antworten zu finden. Und dazu können wir auch Expertinnen und Experten einladen.

Stellst du auch fest, dass die Angelegenheiten, die mit den Gebrechen des Alters zu tun haben, erstmal umschifft werden?
In der ersten Phase schon. Aber die Schattenseiten des Älterwerdens sind den meisten doch klar. Die sehen ja, wie ihre alten Eltern oder Nachbarinnen und Nachbarn leben und wohnen. Wir kommen ganz schnell zu den angstbesetzten Themen, man braucht dazu nur gemeinsam nach den Fragen hinter den Fragen zu suchen. Für viele ist es eine große Erleichterung, wenn sie erkennen, dass die anderen die gleichen Fragen und Ängste haben. Der Austausch mit anderen ist das Wichtigste. Irgendwann kommt dann immer der Punkt, an dem die Leute sagen: Ich verstehe das jetzt. Ich bin mit dem Thema nicht allein. Den anderen geht es genauso wie mir. Welche Entscheidungen sind jetzt zu treffen? Was kann ich tun? Und viele stellen natürlich auch die Frage: Was können wir als Gruppe bewegen? Wofür wollen wir uns gemeinsam engagieren?


Das Thema „Wohnen im Alter“ muss in die Stadtgesellschaft getragen und als gesamtgesellschaftliche Herausforderung behandelt werden. Es ist ein wichtiges Zukunftsthema.

 

Joachim Ziefle hat im Interview gesagt, dass das Ziel der Wohnschule erreicht ist, wenn die Besucher und Besucherinnen der Workshops am Ende eine Entscheidung treffen können, was ihre Wohnsituation angeht. Welche das auch immer ist. Stimmst du dem zu?
Ich stimme dem zu, würde das aber gerne noch toppen. Ideal wäre, wenn jeder Wohnschüler und jede Wohnschülerin die Wohnschule mit einem guten Plan B in der Tasche verlassen würde. Plan A: Das ist die große Idee – das Wohnprojekt auf dem Land, die Wohngemeinschaft in der alten Villa oder das Mehrgenerationenhaus oder einfach die Möglichkeit, so lange wie möglich in der eigenen Wohnung und in der vertrauten Nachbarschaft wohnen bleiben zu können. Schön, wenn man da Mitstreiter, Finanzmittel, ein Grundstück oder eine Immobilie findet und lange gesund und fit bleibt.
Ein Plan B ist dann erforderlich, wenn etwas mit Plan A schiefgehen sollte. Ein Beispiel: Hier in Köln gab es mal eine Gruppe älterer Damen, die alle gerne zuhause wohnen bleiben wollten, die aber merkten, dass sie allmählich gebrechlicher wurden. Die haben dann über einen längeren Zeitraum – immer sonntags – Pflegeheime in Köln besucht und mit den Heimbewohnern und deren Angehörigen gesprochen. Gemeinsam haben sie sich ein Haus ausgesucht. Ihr Plan B war: Wer von uns nicht mehr alleine wohnen kann, zieht hier ein. Wir werden uns dort als Gruppe wiedertreffen. Eine Art Alters-WG im Pflegeheim.

Die Wohnschule als Bildungsangebot richtet sich ja an einzelne Menschen, die sich mit dem Thema Wohnen auseinandersetzen wollen. Wie verbindest du diesen Aspekt der Wohnschule mit der gesellschaftlichen Bewegung der Gemeinschaftlichen Wohnprojekte?
Es kommt immer der Punkt, an dem den Teilnehmenden klar wird, dass das, was unsere Gesellschaft an Wohnformen für ältere Menschen vorhält, nicht ausreicht oder nicht ihren Wünschen entspricht. Und natürlich wird auch deutlich, dass der Einzelne allein nicht viel bewegen kann. Da gibt es noch viel zu tun. Das Thema „Wohnen im Alter“ muss in die Stadtgesellschaft getragen und als gesamtgesellschaftliche Herausforderung behandelt werden. Es ist ein wichtiges Zukunftsthema. Joseph Beuys hat mal gesagt: „Die Zukunft, die wir wollen, muss erfunden werden, sonst kriegen wir eine, die wir nicht wollen.“ Da ist was dran.

Ich möchte nochmal auf die Wohngruppen zurückkommen…
... es gibt ja auch Gruppen, die schon sehr weit sind in ihrer Planung, und trotzdem plötzlich an Grenzen stoßen. Schwierig wird es eigentlich immer, wenn Mietverträge abgeschlossen werden müssen. Da muss sich jeder Einzelne festlegen. An diesem Punkt wird es ernst. Und das macht vielen Angst. Die Gruppen merken schnell, dass es im Laufe des Prozesses wichtige Entwicklungsaufgaben gibt, um die man nicht herumkommt. Für diese Entwicklungsaufgaben brauchen Gruppen Orte, an denen sie sich treffen können, Gelegenheiten, um sich mit Fachleuten, z.B. mit Kommunikations-Experten oder Wohn-Experten auszutauschen oder auch um an Themen weiterarbeiten zu können. Besonders hierfür will die Wohnschule Andockmöglichkeiten schaffen und ihr Angebot erweitern und auch verfeinern.


Es deutet eigentlich alles darauf hin, dass wir in der Wohnschule Angebote für Fortgeschrittene entwickeln müssen.

 

Die meisten Wohnprojektgruppen, die ich kenne, definieren sich als Mehrgenerationen Projekte, auch wenn sie überwiegend aus Älteren bestehen.
Das ist ja auch eine Erfahrung, die wir hier machen. Spätestens beim 2. oder 3. Kurs wird klar, dass das Thema Wohnen und Leben im Alter nicht ohne andere Altersgenerationen beantwortet werden kann. Ja, man kann sagen, dass es eine Frage für alle Altersgenerationen ist. Da kommen dann auch ganz andere Themen auf, z.B. Nachbarschaft, Sorgende Gemeinschaft, Ökologie, Nachhaltigkeit, Sharing Community. Man darf sich da nichts vormachen: Wir werden die Städte nicht neu bauen. Wir müssen kluge Lösungen im Bestand finden. Was können wir tun, damit wir weiterhin bezahlbaren Wohnraum in den Städten finden? Wie können neue Gemeinschaftsformen entwickelt werden? Wie gehen wir mit dem Thema Altersarmut um?
Es deutet eigentlich alles darauf hin, dass wir in der Wohnschule Angebote für Fortgeschrittene entwickeln müssen. Es gibt Fragen, die lassen sich nicht leicht beantworten. Wir müssen Experten und Expertinnen aus unterschiedlichen Fachgebieten einbeziehen, Erfahrungswissen zusammentragen und Modellprojekte entwickeln. Wir müssen vor allem auch die Interessen der zukünftigen Altersgenerationen in den Blick nehmen und gute Lösungen mit allen und für alle Generationen, Kulturen und Milieus finden. Das ist eine echte große gesellschaftliche Herausforderung. Ich glaube, das kann eine Wohnschule nicht allein lösen. Aber eine Wohnschule kann die Teilnehmenden für diese Aufgaben ein Stück weit vorbereiten.

In dem neuen Programm gibt es ja unter dem Label Wohnschule hier in der Akademie ein Angebot für Gewaltfreie Kommunikation, das ausgerichtet ist auf Wohnprojektgruppen. Könntest du dir auch andere Software-Themen in der Wohnschule vorstellen, in denen Alter nicht der Hauptaspekt ist? Zum Beispiel das Thema Kommunikation in Gruppen oder Gemeinschaftsbildung?
Da gibt es ja bereits interessante Angebote. Es ist aber sehr wichtig, hier auch mit neuen Formaten zu arbeiten oder neue Formate zu entwickeln. Wir merken ja, Kommunikation ist das Thema schlechthin. Ich denke da aber nicht nur an die Kommunikation zwischen Mitgliedern einer Wohngruppe. Ich denke auch an die Kommunikation zwischen Generationen, Milieus und Kulturen.

Zum Schluss, wenn du für die Wohnschule werben solltest, was würdest du sagen?
Also: Die Wohnschule ist ein spannender Ort, der Menschen dazu einlädt und befähigt, Zukunft gemeinsam zu gestalten. Ein Ort, an dem gemeinsam gelernt und vernetzt gearbeitet wird, ein Ort, an dem man sich mit seinen Ideen, seinen Kompetenzen, seinem Erfahrungswissen, seinen Begabungen und seinen Talenten einbringen kann. Hier wird man ermutigt, Wissen und Ressourcen zu teilen. Die Wohnschule ist ein Labor, eine Denkfabrik und ein Ort für Experimente. Eine gute Schule eben.

> Melanchthon Akademie Köln

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