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Systemisches Konsensieren passt zu agilen Arbeitsmethoden
 
Interview mit Markus Rossmann
Das Interview führten wir am 16. Oktober 2020 per Skype.
Markus Rossmann, seit über 20 Jahren tummelt er sich als Diplom-Informatiker in der Software-Entwicklung und legt seinen Fokus auf agile Arbeitsmethoden. Er unterstützt selbstorganisierte Teams in und ausserhalb von Firmen in Rollen als Scrum-Master, Kommunikationstrainer und Konsens-Moderator. Dabei hilft ihm seine Begeisterung für die 'Gewaltfreie Kommunikation'.
 
 
Markus Rossmann


Erinnerst du dich, wann du zum ersten Mal mit dem Systemischen Konsensieren in Berührung gekommen bist?
Ja. Ich war 2017 auf einem Seminar für Gewaltfreie Kommunikation, da hat Klaus Karstädt ein zweistündiges Einführungsseminar in Systemisches Konsensieren gehalten, weil es in die Thematik der Gewaltfreien Kommunikation gut reinpasst. Ich habe gleich Feuer gefangen. Seitdem beschäftige ich mich mit SK und möchte es anwenden, weil ich es für wichtig und wertvoll halte.

Was denkst du ist der Schlüssel von SK?
Ich denke, der Schlüssel von SK ist, den Menschen einen Raum zu geben, gehört zu werden. In einer Gruppe diskutieren Menschen oft über etwas und manche haben den Eindruck: Ich werde hier gerade nicht gehört. Das ist eine häufige Erfahrung von Menschen. SK lässt einen Raum entstehen, in dem sich Menschen zuhören.

Wollen wir mal kurz zusammen herausfinden, was es in uns auslöst, wenn wir irgendwo zusammensitzen mit anderen und das Gefühl haben "ich werde hier gerade nicht gehört"? Was macht das mit uns?
Mich frustriert das. Ich habe eine Idee und ich kann sie nicht einbringen. Mein Beitrag wir nicht gehört.

Bei mir ist es so, dass ich denke: Ich bin hier nicht wichtig, die brauchen mich nicht. Kannst du sagen, welche Wirkung es auf dich hat, wenn du frustriert bist?
Auf mich hat das die Wirkung, dass ich mich zurückziehe. Es gibt andere Menschen, die werden dann aggressiv und preschen nach vorne. Aber ich persönlich ziehe mich dann zurück und trage nicht mehr bei.

Mir geht es wie dir, ich ziehe mich auch zurück, wenn ich merke, dass ich nicht gehört werde. Ich glaube, es gibt diese beiden Wege an Verhalten, sich zurückziehen oder laut werden und aggressiv und versuchen, sich durchzusetzen. Ich glaube, das ist Typenbedingt, oder?
Genau. Das Systemische Konsensieren fasziniert mich auch deshalb so sehr, weil es eine Methode ist, mit der ich in meiner Umgebung etwas ändern kann, auf eine Weise die meinem Typ entspricht. Jeder kann sich auf seine eigene Art einbringen.

Was erlebst du denn als Reaktion bei den Gruppen, wenn die Menschen erleben, dass es eine Methode gibt, die ihnen ermöglicht, sich nicht entweder zurückziehen oder aber aggressiv werden zu müssen?
Erleichterung. Ich erlebe, dass am Ende eines Projekttages die Leute sagen: "Oh, das war so leicht. Wir haben eigentlich erwartet, dass wir uns streiten und es schwierige Diskussionen geben und dass es unangenehm wird." Was den Leuten auffällt, ist die Leichtigkeit des Umgangs miteinander.

Ich habe den Podcast gehört, an dem du mitwirkst und zu dem du mir einen Link gesendet hattest. (Link zum Podcast unter dem Interview)

Da habe ich gehört, dass ihr von der verbindenden Wirkung des Prozesses gesprochen habt.
Ja. Der Begriff Verbindung passt gut. Die Leute erleben Gemeinschaft, indem sie ihre Widerstände ernst nehmen und zusammen etwas kreieren. Das ist, was die Leute erleben können, in der Gruppe eine Verbindung zu haben und nicht ein Auseinandersetzen, ein Trennen. Das ist ja das, was bei Mehrheitsentscheiden so oft passiert, dort bilden sich verschiedene Lager: Die Einen sind gegen die Anderen, und es entsteht Spaltung statt Verbindung.

Diese Verbindung, die bei der Anwendung von SK entsteht, findet ja nicht deshalb statt, weil das unterschiedliche Denken aufgehoben wird. Jeder und Jede kann bei ihrer Meinung bleiben, aber dennoch entsteht kein Kampf und kein Trennungsgefühl, sondern ein Verbindungsgefühl.
Weil Widerstände willkommen sein dürfen. Weil Widerstand nicht diese Schwere bedeutet, nicht diesen Streit und nicht diese Konfrontation, sondern Widerstand bedeutet auf einmal: Ja, wir haben jetzt einen anderen Punkt, über den wir diskutieren können und den wir uns anschauen und überlegen können, ob uns das weiterhilft oder nicht. Und die Betonung liegt auf dem Wir. So entsteht ein Gruppengedanke, den die meisten ja wirklich haben und erleben wollen. In eine Diskussion kommt eine Schwere rein, wenn das Gemeinschaftsgefühl enttäuscht wird.

Da wird ja oft auch eine Sehnsucht enttäuscht, die Leute haben, und ich schließe mich da ein. Ich bin ja in Wohnprojektgruppen unterwegs und es wird oft schwierig, weil die Sehnsucht nach dem Wir-Gefühl enttäuscht wird, weil die Gruppen-Kommunikation nicht verbindend, sondern trennend wirkt.
Ich sehe den Unterschied wenn ich in Firmen gehen, wo erst mal Skepsis da ist: Ja funktioniert das denn, wenn da alle mitreden? Da ist zunächst die Furcht: Sollen wir jetzt Basisdemokratie einführen? Wo diese Sehnsucht nach dem Wir-Gefühl durch einen operativen Geschäftssinn überdeckt ist: Wir haben hier das Ziel, Geld zu verdienen und das funktioniert nur, wenn wir effizient und effektiv sind! Gleichzeitig gibt es in Firmen so viele Menschen, die sich unwohl fühlen, sich nicht am richtigen Platz sehen und die etwas verändern wollen. Ich glaube, bei denen kommt genau diese Sehnsucht hoch, ich glaube, dass diese Sehnsucht nach Gemeinschaft tief untendrunter begraben liegt. Aber in Wohnprojektgruppen sieht man es direkt, denn die sind ja zusammen, um genau diese Gemeinschaft zu leben. In derartigen Gruppen rennt man mit dem Systemischen Konsensieren offene Türen ein.

Wie kommt es, dass du Erfahrungen mit Wohnprojektgruppen hast und welche Verbindung gibt es da zu deiner Arbeit?
Beruflich bin ich in der Softwareentwicklung zu Hause. Dort ist üblicherweise reger Projektbetrieb angesagt, mit hierarchischer Planung von Oben nach Unten. In der Softwareentwicklung gibt es seit einigen Jahren die Tendenz, dass die Arbeit nicht mehr nach vorgeplanten Projektstrukturen passiert. Kennst du den Begriff 'Agiles Arbeiten'?

Ich kenne den Begriff, aber wenn du dazu ein paar Sätze sagen könntest, wäre das schön.
Agile Arbeitsmethoden beinhalten, dass Gruppen, Teams, selbstorganisiert ihre Aufgaben angehen. Dass sie nicht mehr von oben gesagt bekommen, auf welche Weise und in welchem Zeitplan die Arbeit zu tun ist. Agiles Arbeiten erfordert viel Koordination innerhalb und zwischen den Teams. Viele Entscheidungen werden auf Augenhöhe in größeren Gruppen getroffen. Genau da ist SK hilfreich.

Woran liegt es, dass die Software-Branche da so fortschrittlich ist?
Die Softwareentwicklung wurde einfach am schnellsten sehr dynamisch, weil die Produktlaufzeiten immer kürzer wurden und gleichzeitig die Anforderungen komplexer. Einen Kühlschrank stellst du her und kannst ihn viele Jahre so verkaufen, wie er entwickelt wurde. Software ändert sich alle paar Wochen, alle paar Tage oder sogar im Stundenrhythmus. Da ist einfach die Dynamik und die Komplexität größer. Vielleicht war es in der Softwareentwicklung am schnellsten auffällig geworden, dass man ein komplexes Problem gar nicht mehr von Anfang bis Ende planen kann. Da geht es gar nicht mehr anders, als dass man das Produkt mit der Zeit dynamisch flexibel weiterentwickelt, dass alle Beteiligten zusammen planen, entscheiden und gemeinsam Lösungen entstehen lassen.
Du hast eben gefragt, wie die Verbindung von meinem Beruf zu dem Fakt ist, dass ich mich mit Wohnprojektgruppen beschäftige. Als Teamcoach, Scrum-Master heißt das in der agilen Arbeitsweise, bin ich in der Rolle, Arbeitsprozesse anzuschauen und die Teams zu moderieren, ihnen Hilfestellung zu geben, ihre Arbeitsweise zu betrachten. Moderation ist da ein wichtiges Thema. Moderation bedeutet, dass es Personen in der Rolle gibt, die nicht nur auf den technischen Inhalt achten, sondern auf die Arbeitsmethoden und die Zusammenarbeit. Auf Wohnprojekte kam ich, als wir eine neue Wohnung gesucht haben und uns überlegt haben: Wie wollen wir wohnen und leben? So bin ich auf Wohnprojekte gestoßen und habe gesehen, dass es da ein großes Interesse gibt, die eigene Zusammenarbeit bewusst zu organisieren. Die Methoden, die ich beruflich kennengelernt habe, und parallel auch durch meine Arbeit mit der Gewaltfreien Kommunikation, lassen sich dort sehr gut anwenden. Ich sehe mittlerweile, dass ich diese Prinzipien in allen meinen Lebensbereichen anwende.

Lebst du denn persönlich in einem Wohnprojekt?
Nein. Wir haben uns aus unterschiedlichen Gründen entschieden nicht in ein Wohnprojekt einzuziehen, aber ich habe immer noch Kontakt zu mehreren Wohnprojekten hier im Raum und habe viel Spaß dran, die Gruppen mit SK-Moderationen zu unterstützen.

In dem Podcast sagst du unter anderem: "Die Moderation ist wichtig." Das finde ich auch. Jetzt ist Systemisches Konsensieren ja nicht ursprünglich ein Moderationstool.
Moderation ist für mich eine wichtige Gedankenwelt. Sobald eine Gruppe von Menschen, die zusammen etwas diskutieren oder etwas erarbeiten wollen, aus mehr als vier, fünf Menschen besteht, dann macht es einfach Sinn, dass einer die Rolle übernimmt, auf den Prozess zu achten und in der Hand zu halten: Was machen wir denn eigentlich gerade? Ist das zielführend und entspricht das unseren Werten? Kann ich irgend eine Methode vorschlagen, dass es in eine Richtung geht, die zielführend ist? Das ist für mich der Gedanke von Moderation.

Ich finde ja, Moderation ist eine Serviceleistung.
Genau. Und das muss noch nicht mal extern sein - es hilft natürlich, wenn man eine externe Moderation hat. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass die Leute der Gruppe, die inhaltlich zusammen arbeiten, auf Moderationsaspekte achten, also quasi die Rolle des Moderators implizit übernehmen. Das hat viel mit Kompetenz und Bewusstsein zu tun. Es ist natürlich einfacher, wenn sich ein Mensch, der gar nicht inhaltlich involviert ist, auf den Prozess konzentrieren kann. Aber das muss nicht notwendigerweise so sein. Der Hintergedanke ist zu fragen: Wie arbeiten wir gerade? Welche Methodiken wenden wir gerade an? Können wir eine andere Methode anwenden, um effizienter oder effektiver oder wertschätzender miteinander zu arbeiten? Da bietet SK mir verschiedene Hilfestellungen. Erstmal bietet SK eine Grundhaltung, das sind die Prinzipien und Werte, die SK zu Grunde liegen.
Das SK-Prinzip beschreibt, wie Entscheidungen getroffen werde. Gleichzeitig beeinflusst dieses Prinzip den ganzen Prozess vor und nach der Entscheidung und hat somit einen Einfluss auf die Wahl der Moderationsmethoden. Aus der SK-Haltung heraus ergeben sich die angewandten Tools und Methoden.

Haltung lässt sich ja nicht vermitteln. Ich finde es immer wieder eine Herausforderung, wenn ich eine Einführung in SK mache, wie ich die Haltung rüberbringe.
Haltung lässt sich wohl nicht erklären sondern wird erlebt. Wenn ich eine Moderation durchführe und jedem das Gefühl vermittle, er ist willkommen und dass auch Widerstände und Meinungen, die in andere Richtungen gehen, gehört werden, dann lebe ich die SK-Haltung. Dies passiert, indem ich den Leuten den Raum gebe und zeige, dass selbst wenn sie Widerstände haben, diese willkommen sind und damit gearbeitet werden kann. Die Beteiligten können erfahren, dass es Möglichkeiten gibt, Konfrontationen auszunutzen, um eine Lösung zu finden.

Wirst du gebucht für Einführungen in Systemisches Konsensieren?
Ja, es gibt Gruppen die von SK gehört haben und dran interessiert sind, mehr zu erfahren und vor allem erleben wollen, wie SK in ihrem eigenen Kontext für ihre eigenen Fragestellungen funktioniert.

Wie hältst du es mit der Zeit, wieviel Zeit brauchst du mindestens für eine Einführung?
SK in einer Gruppe einzuführen klappt auf unterschiedliche Weise, ganz abhängig von der Situation. Wenn ich als Moderator einen Entscheidungsprozess einer Gruppe begleite, ist es prima machbar, SK einfach zu benutzen, ohne theoretische Einführung. Dann versteht die Gruppe aus dem Tun heraus, welche Vorteile SK bietet.
Wenn es darum geht, interessierten Menschen ein Verständnis von den Hintergründen von SK zu geben, dann hängt es eigentlich nur vom gegebenen Zeitrahmen ab, wie tief ich einsteigen kann. Ein anschauliches Beispiel lässt sich recht schnell erzählen, um Menschen die Idee zu vermitteln. Eine Beispielmoderation mit Erklärungen sind in ein bis zwei Stunden machbar.
Für Menschen, die sich intensiver mit Entscheidungsmethoden auseinandersetzen und es selber anwenden wollen, lohnt es sich, mehr Verständnis zu erzeugen. Dafür ist es schon gut, länger Zeit zu haben, um die verschiedenen Aspekte von Entscheidungsprozessen zu beleuchten. Da wäre ein halber oder ein ganzer Tag schon lohnend.
Wenn jemand SK selber in Gruppen einsetzen will, ist eine Ausbildung sinnvoll, die dann über zwei bis fünf Tage geht.

Hast du eine schnelle Definition parat, wenn dich jemand fragt: Was ist eigentlich Systemisches Konsensieren?
Das ist ein Prinzip, Entscheidungen auf eine Weise zu treffen, dass Menschen wertschätzend zusammen Lösungen finden können, die nachhaltig tragfähig sind.

Der Begriff wertschätzend ist dir sehr wichtig, oder?
Oh ja. Da kommt meine Motivation her, warum ich Systemisches Konsensieren einsetzen möchte. Es geht um die Frage: Wie gehen wir miteinander um?

Mir fällt auch auf, wie häufig du das Fragewort Wie benutzt. Das zeigt ja deine Orientierung, die nicht so sehr auf dem Was liegt, sondern eben auf dem Wie. Ich glaube ja, dass das Eingangstor zum Systemischen Konsensieren die Frage nach dem Wie ist. Meistens wird jedoch nach dem Was gefragt.
Wenn ich mich nur auf das Was, also die inhaltlichen Aspekte eines Problems fokussiere, dann ist mein Lösungsraum eingeschränkt durch meine momentane Sichtweise. Wenn ich mir anschaue, Wie ich an das Problem herangehe, dann gibt es Raum für andere Perspektiven und neue Wege. Als ich mit Wohnprojekten in Kontakt kam, ist mir aufgefallen, dass die sich sehr über das Wie Gedanken machten. Wie kriegen wir es hin, dass Diskussionen nicht so endlos ausufern und nicht so unangenehm werden? Solche Fragestellung schon im Kopf zu haben, öffnet die Tür für neue Wege wie das Systemische Konsensieren.

Wenn du in Unternehmen gehst, wie sieht es da im Allgemeinen aus, wenn es um Bewusstsein für Entscheidungsmethoden geht.
Ich habe es so erlebt, dass dort oft kein explizites Bewusstsein darüber besteht, wie Entscheidungen getroffen werden. Firmen haben traditionsgemäß meist eine Form von Hierarchie. Das heißt, Entscheidungen werden meistens von oben nach unten runter gereicht, und wie eine Entscheidung zustande kommt, ist oft organisch gewachsen und nicht bewusst geplant. Oft ist es ja auch so, dass bestimmte Entscheidungen mit bestimmten Rollen und mit Verantwortung zusammenhängen. Dass z.B. eine Person in einer hierarchischen Struktur die Hoheit über das Budget hat, also auch die Verantwortung, sich für ihre Entscheidungen rechtfertigen muss und dann auch Einzelentscheidungen trifft. Oft ist es auch so, dass die Person, die die Entscheidungshoheit hat, andere Menschen dazu holt, in Gremien oder informellen Strukturen. Dann ist es aber für Aussenstehende oft nicht klar, auf welche Art und von wem die Entscheidung getroffen wurde.
Ich habe es in Meetings oft so erlebt, dass Diskussionen recht unstrukturiert geführt wurden, und letztendlich Entscheidungen implizit getroffen wurden, unbewusst, nach gewachsenen Mustern.

Das klingt nicht nach Transparenz.
Nein - nicht wirklich. Die Notwendigkeit von Transparenz wird in Firmen aber mehr und mehr gesehen - das ist ein wesentlicher Aspekt der agilen Arbeitsmethoden. Derzeit wird in vielen Firmen überlegt: Wie kann man den einzelnen mehr Eigenverantwortung übergeben? Weil in einer komplexer werdenden Welt der Beitrag von jedem einzelnen wichtiger geworden ist. Und dann die Frage: Wie kriegen wir das hin, dass Entscheidungen gemeinsam effizient und transparent getroffen werden? Der große Vorteil von Einzelentscheidungen in Hierarchien ist ja, dass Entscheidungen schnell getroffen werden. Und es dann auch jemanden gibt, der den Kopf dafür hinhält.

Und die systemische Rückwirkung ist, dass sich Mitarbeiter oft innerlich verabschieden oder in Frustration oder Burnout gehen, weil sie nicht gehört werden, weil sie sich nicht gesehen fühlen und nicht beteiligt werden, wenn es um ihre Belange und ihren Kompetenzbereich geht.
Genau. Es versickert ja auch ganz viel Kompetenz. Dadurch ist die Entscheidungsqualität nicht so gut wie sie sein könnte, weil Kompetenzen, Wissen und Talente nicht gehört werden.

Wie ist es für dich gerade, was Systemisches Konsensieren angeht. Welche Bedeutung gibst du SK im Moment?
Das ist für mich ein Entwicklungsprozess. Ich habe mich entschieden, die Zertifizierung zum SK-Moderator anzugehen, weil ich sehe, dass ich beruflich und privat mehr und mehr mit Gruppen arbeite. Dafür möchte ich meine Moderations-Kompetenz weiter ausbauen. Da sehe ich die Arbeit mit SK für mich persönlich als eine Bereicherung, sowohl in meiner Arbeit, als auch in meinen Methodiken und in meiner persönlichen Entwicklung. Ich sehe sowohl in privaten als auch in beruflichen Bereichen den Anwendungsfall und den Nutzen, mich mit Entscheidungsprozessen zu beschäftigen.

Hast du ein Beispiel aus dem privaten Bereich?
Ich bin in einem Verein und wir haben jetzt in der Coronazeit natürlich sehr viele Entscheidungen zu treffen: Wie geht es mit dem Verein weiter? Wie finanzieren wir unseren Verein? Ich habe gemerkt, dass ich mit der Haltung und den Methoden von SK anders an Gruppensituationen herangehe, auch wenn ich nicht der explizite Moderator bin. Ich profitiere davon, wie ich zum Beispiel in eine Gesprächssituation eingreife, um mit Konflikten konstruktiv umzugehen. Ich merke, dass auch Diskussionen, die früher anstrengend waren, jetzt reibungsloser laufen.

Und die anderen, sehen die das auch?
In Gruppen in denen ich explizite SK-Moderationen durchgeführt habe, kam oft die Rückmeldung, dass die Diskussionen einfacher und leichter waren als gewohnt. In anderen privaten Situationen läuft vieles implizit ab, ohne direkte Rückmeldung. Dabei geht es mir auch nicht darum, eine Methode anzuwenden, sondern meinen Beitrag zu leisten, und den leiste ich auf eine andere Art und Weise, als ich es früher gemacht hätte.

Das zeigt ja, dass du eine persönliche Entwicklung machst.
Ja, auf jeden Fall.

Das ist mir auch so gegangen. Und zwar eine Entwicklung, die ich persönlich als sehr positiv erlebt habe.
Stimmt, ich sehe die Beschäftigung mit SK als einen persönlichen Gewinn für mich. Das geht ja damit einher, dass ich mich mit Gewaltfreier Kommunikation beschäftige und mit anderen Menschen zusammen daran arbeite, diese Haltung zu leben. SK ist für mich eine wertvolle Möglichkeit, diese Gedanken in die Praxis umzusetzen, weil die Haltung dahinter für mich die gleiche ist.

Ich finde so interessant am Systemischen Konsensieren, dass es sich weiterentwickelt, obwohl der Kern der Methode ja feststeht.
Ich denke, diese Entwicklung entsteht durch die Auseinandersetzung mit unserem Umgang untereinander in Gruppen. Den Kern des SK-Prinzips kann man ja noch recht einfach beschreiben und vermitteln, doch die Auswirkung auf die Menschen, die SK anwenden, hängt immer von deren Werten und Vorstellungen ab, ist somit dynamisch und individuell. Aus diesem Grund finde ich es im Moment schön, in der SK-Gemeinde so eine lebhafte Auseinandersetzung zu haben. Was bedeutet SK denn überhaupt? Wie wenden wir es an? Welche Unterstützung können wir uns dabei gegenseitig geben? Das ist auch ein Grund, warum mir die Zertifizierung wichtig ist. Um mich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen und zu lernen, wie ich damit umgehe, wie ich mich selbst weiter entwickle.

Unter dem Aspekt der Entwicklung sehe ich auch diese Interviews. Sie sind Momentaufnahmen. In einigen Jahren reden wir vielleicht anders über SK und werden möglicherweise andere Aspekte erwähnen, sowohl was die persönliche Sichtweise angeht als auch den Weltbezug. Meine Motivation, mich für SK einzusetzen, kommt auch daher, dass ich denke, es ist ein Instrument, mit dem die Demokratie weiterentwickelt werden kann. Für mich ist SK auch ein politisches Thema.
Sicherlich, das ist eine Diskussion, die gerade stattfindet. Wie kann man mit größeren Gruppen konsensieren? Wie funktioniert das? Auf welche Weise kann man sich innerhalb von größeren Menschen-Mengen auseinandersetzen und gemeinsame Wege finden. Was ja wichtig ist, wenn wir den Klimawandel betrachten oder die momentane Pandemie. Das sind keine Themen, über die einzelne Personen alleine entscheiden können, das betrifft uns alle und "entscheidend sind die Betroffenen".

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Podcast:
https://www.agile-podcast.de/blog/folge-11-soziokrathie-systemisches-konsensieren/

Website von Markus Rossmann:
http://mitwirksam.de/

   
 
   

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