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Mit Widerständen arbeiten, statt dagegen ankämpfen!
 
Interview mit Mathias Schwab
Das Interview führten wir am 5. Februar 2021 auf Zoom.
Mathias Schwab unterstützt mit seinem Beratungsunternehmen prozessintervention.ch seit bald 20 Jahren Menschen, Gruppen, Teams, Organisationen und Unternehmen mit Angeboten in den Bereichen Beratung, Entwicklung, Begleitung und Intervention, Prävention, Weiterbildung.
 
 
Mathias Schwab

Wie bist du zum Systemischen Konsensieren gekommen?
Als Coach, Supervisor und Organisationsberater habe ich seit vielen Jahren immer wieder mit Veränderungssituationen zu tun. Individuen, Teams, Gruppen oder Organisationen kommen zu mir, wenn sie etwas verändern wollen – oder müssen. Ein natürliches Begleitphänomen von Veränderungen sind auch Widerstände dagegen. Wir sind tendenziell bequeme Menschen und möchten den Ist-Zustand meist aufrecht erhalten - manchmal sogar, wenn er nicht zufriedenstellend ist. Man weiss wenigstens woran man ist. Veränderungen hingegen gehen mit Unsicherheit, Unberechenbarkeit und daher auch mit Ängsten einher. In Teams und Organisationen gibt es immer auch legitime Kräfte, die den Status Quo aufrecht erhalten möchten, weil sie davon einen Nutzen haben. Dass es bei Veränderungsprozessen Bedenken und Widerstände gibt, muss nicht zuletzt deshalb sehr ernst genommen werden, damit alle im Boot sind. Und so pflege ich schon seit langem die Hinwendung zum Widerstand und die Haltung, nicht gegen Widerstände, sondern mit Widerständen zu arbeiten.
Ich habe daraus auch ein Führungsseminar entwickelt, das auf dem sogenannten Judo-Prinzip beruht, also dieser asiatischen Philosophie, statt möglichst viele eigene Kräfte einzusetzen, mit einem minimalen körperlichen und geistigen Kraftaufwand und unter Ausnutzung der Kraft des Gegners eine maximale Wirkung zu erzielen. Judo lehrt, durch elastisches Verhalten starre Gewalt zu besiegen. Übertragen auf zwischenmenschliche Situationen und auf Systeme, geht es natürlich nicht um einen Zweikampf, sondern es geht darum, das, was mir begegnet, die vorhandenen Kräfte - so auch Widerstände des Gegenübers - aufzunehmen und in den Prozess zu integrieren. Denn nur dann stossen Veränderungen auch auf Akzeptanz und können erfolgreich gestaltet werden. Dazu braucht es Dialog.

Im Grunde beschreibst du damit die Haltung des Systemischen Konsensierens.
Genau. Und das Spannende war, dass ich festgestellt hatte, dass diese Haltung für viele Menschen relativ leicht verständlich und nachvollziehbar ist. Wenn wir jetzt aber die Frage stellen, wie man das konkret umsetzen kann, tauchen Fragen und Hürden auf. Und so war ich auf der Suche nach etwas, das die Umsetzung dieses Prinzips im Führungskontext konkretisieren hilft. So bin ich auf SK gestoßen, weil SK ja diese Kräfte, diese Bedenken und Widerstände, quantifizieren und sie damit in der Praxis auf erstaunlich einfache Weise handhabbar machen kann. Das hat mich enorm fasziniert, und ich habe SK umgehend in die Führungsseminare eingebaut, mit großem Erfolg. Die Teilnehmenden haben gesagt: „Ja. Super. Endlich habe ich konkrete Werkzeuge, wie ich diese tolle Idee auch umsetzen kann.“ So bin ich 2015 zum Systemischen Konsensieren gekommen. Ich habe es im Internet entdeckt und mich dann sehr schnell schlau gemacht.

Hast du Workshops besucht?
Jaja. Ich war dann 2016 in Graz bei Volker Visotschnig und Dominik Berger und habe dort auch Siegfried Schrotta und Erich Visotschnig kennen lernen dürfen. Es war hochspannend, von den Erfindern direkt die Ursprünge von SK kennen zu lernen. Wir waren eine recht große Ausbildungsgruppe. Um die 20 Personen. Eine sehr heterogene Gruppe mit sehr unterschiedlichen Menschen aus ganz unterschiedlichen Kontexten, und ich war dann gespannt auf den Tatbeweis. Viele Konzepte tönen ja theoretisch gut, müssen sich in der Praxis aber natürlich auch bewähren. Es war sehr eindrücklich, vor Ort zu erleben, dass und wie SK wirkt.

Du kommst ja von der Haltung her. Ich kenne es von mir selbst, und von anderen auch, eher umgekehrt. Wir lernen die Methode und kommen so zur Haltung und machen dann die Erfahrung, dass die Methode ohne die entsprechende Haltung nicht wirklich funktionieren kann. In diesem Zusammenhang ist für mich bisher eine Frage unbeantwortet: Wie vermittle ich Haltung?
Sehr gute Frage. Sie beschäftigt mich auch schon seit vielen Jahren. Haltung sieht man ja nicht unmittelbar und direkt. Haltung ist etwas Abstraktes. Aber was man sehen kann, ist, wie sich Menschen und Systeme verhalten. Das ist bedeutsam, weil sich im Verhalten Haltung ausdrückt. Ich mache auch Seminare zu Haltungsfragen und zur Auseinandersetzung mit Werten. Entscheidend ist dabei sehr oft nicht die theoretische Metaebene, sondern die tatsächlich umgesetzte Praxis. Denn in der Umsetzung, in der „Verhaltung“ und in mehr oder weniger bewussten Handlungen manifestieren sich eben diese dahinter stehenden Motive und Absichten. Bei der Arbeit mit Haltungen starte ich deshalb gerne beim wahrnehmbaren Verhalten, arbeite mit Erklärungshypothesen dafür und frage: Welche Haltungen könnten hinter dem und dem Handfesten, Wahrnehmbaren stehen, und was genau weist darauf hin? Es geht mir darum, Menschen dafür zu sensibilisieren, dass gelebte Haltungen mehr als leere Worthülsen sind und dass sie in ihren mehr oder weniger bewussten Verhaltensweisen zu Tage treten. Wenn Haltung und Verhalten nicht übereinstimmen, spürt man das. Jemand sagt dir: Ich respektiere dich. Wunderbare Haltung; und dann behandelt er dich aber beispielsweise von oben herab oder kommt dir körperlich zu nahe. Dann passt das irgendwie nicht zusammen. Innen und Aussen sind dann nicht kongruent, die Haltung wirkt aufgesetzt und ist schliesslich nicht glaubwürdig. Wir nehmen, wenn jemand etwas sagt und sich anders verhält, dann oft nur ein diffuses Unstimmigkeitsgefühl wahr, das die Beziehungsgestaltung aber negativ beeinflussen kann. Deshalb ist für mich die Haltungsarbeit so zentral. Es geht mir nicht nur um die Methode, auch beim SK nicht, sondern es geht letztlich um ein Grundanliegen, die echte Identifikation damit. Man muss sich eine Haltung „zu eigen machen“, was dazu führt, dass man ein bestimmtes methodisches Instrument wirklich erfolgreich anwenden kann.

Beides gehört eben zusammen, die Methode und die Haltung.
Stimmt. Ich mache allerdings in Gruppen die interessante Beobachtung, dass beide Zugangswege möglich sind – gerade mit SK. Wenn wir uns mit der Methodenbrille verfahrensorientiert mit SK-Anwendungen auseinandersetzen, dann beeinflusst dies die Entwicklung einer SK-Haltung und umgekehrt. Wer SK qualitativ gut anwendet, macht auch Haltungsarbeit – und zwar ohne dass lange und zuweilen mühsame Grundsatzdiskussionen notwendig sind. Manchmal sage ich Führungspersonen: Sie können, wenn Sie SK anwenden, gleichzeitig, ohne ein Riesenbrimborium und quasi als Nebeneffekt, auch Teamkompetenzen fördern und Kulturentwicklung vorantreiben. Dies funktioniert dank einer eleganten Eigenart des SK-Systems, weil man sich nebst für die eigenen auch für die Bedürfnisse und die Wünsche des Gegenübers interessieren muss, wenn man mit seinen Lösungsvorschlägen erfolgreich sein will.

Welche Rolle spielt SK derzeit in deinem Leben?
SK spielt in meinem Leben eine zunehmend größere Rolle, weil ich gemerkt habe, dass ich große Lust habe, mich für dessen Verbreitung einzusetzen. SK ist zwar nicht der Generalschlüssel für alle Probleme der Welt, ermöglicht jedoch für wesentliche Faktoren der Organisation unseres Zusammenlebens-, -wirtschaftens und –arbeitens Entwicklungsschritte, die aktuelle und auch bekannte Probleme überwinden helfen.
Ich biete SK-Aus- und Weiterbildungssemiare, SK-Moderationen und SK-Facilitation an. Ich habe mich zudem entschieden, mich als Vorstandsmitglied im SK-Netzwerk zur Förderung des SK-Prinzips zu engagieren, weil ich dort eine gute Möglichkeit sehe, Menschen mitzunehmen. Ich bin in verschiedenen Arbeitsgruppen tätig, die das Netzwerk gebildet hat und bin gerne an vorderster SK-Front dabei.

... das ist ehrenamtlich, oder?
Ja, die Arbeit im Verein ist natürlich ehrenamtlich. Ich sehe das als eine niederschwellige Art, die Idee, SK-Haltungen und -Vorgehensweisen in die Gesellschaft zu tragen. Man kann sehr schnell mit einfachen, direkt erlebbaren Beispielen Menschen bedeutsame Unterschiede zwischen einer Entscheidung nach dem Mehrheitsprinzip und einer nach dem SK-Prinzip aufzeigen.

Ich engagiere mich ja auch immer mehr für die Verbreitung und die Anwendung von SK. Auch weil ich es als politisch-gesellschaftliches Engagement sehe und dies als sehr zufriedenstellend empfinde. Ich denke, das geht dir ähnlich, denn sonst engagiert man sich ja nicht freiwillig für etwas.
Ja natürlich! Ich merke allerdings manchmal auch Widerstände bei Menschen, wenn ich ihnen von SK erzähle. Gerade in der Schweiz. Wir sind hier im Allgemeinen stolz darauf, dass wir ein basisdemokratisches Verständnis pflegen. Wenn man da ein bisschen genauer hinschaut, stellt man jedoch recht grosses Entwicklungspotenzial im Hinblick auf politische Partizipation und den Umgang mit Macht und Einfluss fest. Das einzigartige schweizerische System könnte dennoch eine teilweise kritische Haltung SK gegenüber erklären. Möglicherweise haben einige Menschen in der Schweiz ein weniger grosses Bedürfnis nach demokratischer Innovation als Menschen, die in einer parlamentarischen Demokratie oder einer Diktatur leben.

Den Widerstand gegen SK gibt es aber nicht nur in der Schweiz, sondern auch hier bei uns in Deutschland. Ich habe da einige Erfahrungen mit Wohnprojekt-Gruppen gemacht. Oft sind es ein oder zwei Personen einer Gruppe, die vom Systemischen Konsensieren gehört haben und es toll finden und es gerne in ihre Gruppe bringen wollen. Manche sind auch begeistert und meinen, dass SK für die Gruppe und das Projekt hilfreich sein kann. Dann aber stoßen diese SK-Begeisterten häufig auf mehr oder weniger großen Widerstand in ihrer Gruppe.
Ich glaube, man sollte aus systemischer Sicht mitbedenken, dass es meist Menschen gibt, die aus einem IST-Zustand Nutzen ziehen, sich „arrangiert“ und „zufriedenstellend eingerichtet“ haben. Dass die sich dann wehren, wenn sie bei möglichen Veränderungen befürchten, Vorrechte und Privilegien zu verlieren, ist erstmal auch verständlich. Ich habe schon erlebt, dass es manchmal eine Rolle spielt, wer in einer Gruppe SK einbringt. Je nach Vorgeschichte, Gruppendynamik und sozialer Rolle der Person in der Gruppe, je nach emotionalen Verflechtungen und Koalitionen mit anderen oder Verkörperung bestimmter Anliegen kann der Vorschlag, mit SK zu arbeiten, auf mehr oder weniger Akzeptanz stossen. Manchmal ist es ja auch so, dass Menschen, die zwar begeistert, aber noch nicht so sehr mit SK vertraut sind, SK beim ersten Mal bereits einsetzen möchten, um definitive gewichtige Entscheidungen zu treffen. Ich bevorzuge und empfehle oft den sanfteren Einstieg im Sinne von: Lasst uns mal etwas ausprobieren und schauen, was mit SK rauskommt. Was wir dann damit machen werden, das können wir später entscheiden. Dies alles zeigt, dass es anspruchsvoller sein kann, SK qualitätsvoll in eine Gruppe zu bringen, als man zunächst vielleicht denkt.

Ich möchte jetzt gerne ein anderes Thema anschneiden. Mich interessiert sehr das Thema SK-Community. Ich denke da an Kreise, die es zum Teil ja auch schon gibt, mit Menschen, die das Systemische Konsensieren anwenden, sich dafür begeistern und sich darüber austauschen und voneinander lernen wollen.
Die Community-Idee ist ja ziemlich alt. Immer schon haben sich Menschen, die gleiche Interessen teilten und gleiche Anliegen hatten, zusammengetan und sich ausgetauscht. Vom Prinzip einer Community her gesehen, spielt „Care“ eine große Rolle, also sich umeinander zu kümmern. Vielleicht muss man unterscheiden zwischen Online-Communities und Communities, die sich physisch treffen. Die analoge und die virtuelle Welt bieten nicht die gleichen Möglichkeiten, können sich aber auch ergänzen.
Eine Online-Community entsteht ja eigentlich dort, wo Menschen ein Interesse oder ein Austauschbedürfnis teilen in Bezug auf eine Idee, manchmal auch auf ein Produkt, zum Teil auch auf eine Marke bezogen, und die in diesem Austausch Sinnhaftigkeit erleben. Das heißt, eine Community lebt nur, wenn die Beteiligten einen gemeinsamen Sinn darin sehen. Sie wird belebt – auch online – von geteilten Inhalten und von Geschichten. Einerseits ist da dieses übergeordnete Interesse an Austausch und gemeinsamem Lernen, andererseits bringt jedes Mitglied individuelle Bedürfnisse und Interessen mit und möchte da auch abgeholt werden. Das A und O einer Community-Seele ist daher, so glaube ich, Reziprozität – also ein lebendiges, wechselseitiges und ausbalanciertes Geben und Nehmen. Ich gebe etwas rein, ich bekomme aber auch etwas zurück. Dennoch ist es nicht das Gleiche wie eine individuelle Beratung oder ein Seminar. Auch wenn ich vielleicht nicht hundertprozentig auf meine Kosten komme, muss ich etwas für mich Sinnvolles mitnehmen können, dann bin ich dabei. Und es entsteht eine gemeinsame Identität, die auch in einer Online-Community laufend weiter entwickelt wird. Wir stellen zunehmend fest, dass an SK interessierte Menschen sehr gerne eine Commutiy möchten und dies teilweise auch schon tun. Deshalb hat sich der Verein SK-Netzwerk entschieden, dieses Bedürfnis aufzunehmen und aktiv zu werden. Wir sind daran, eine Online-Community-Plattform aufzubauen.

Der Verein kann dann doch eigentlich nur eine Struktur, eine Online-Struktur schaffen. Denn die Community entwickelt sich ja durch die Menschen, die ihr beitreten.
Ja. Aber es gibt verschiedene Interessen- und Anspruchsgruppen rund um SK. Es gibt Neugierige und Anwendende, es gibt diejenigen, die Weiterbildungen oder Beratungen anbieten, es gibt das Netzwerk selber oder zertifizierte Moderatorinnen und Moderatoren und so weiter. Da gibt es Möglichkeiten, das alles zu strukturieren und z.B. auch spezifische, thematische Untergruppen zu bilden. Meine Erfahrung ist, dass Communities dann gut funktionieren, wenn sie auch betreut und moderiert werden, da eine Community von Content, von Inhalten lebt. Gerade auch am Anfang, glaube ich, braucht es Einladungen und Impulse inhaltlicher Art, damit sich eine Community dann auch selbstgesteuert und dynamisch entwickelt. Es braucht so einen kleinen Schubser. Man kann eine Plattform zur Verfügung stellen und sagen: Liebe Leute, da gibt es eine Plattform, tauscht euch aus! Und dann passiert nichts. Deshalb sind Menschen nötig, die immer wieder Content einbringen und etwas initiieren, die dafür sorgen, dass die Communtiy-Mitglieder diesen oben genannten gemeinsamen Sinn kreieren können. Die Art und Weise, wie das geschieht, nenne ich dann die Kultur einer Community.

Ich habe es jetzt so verstanden, dass ihr vom SK-Netzwerk an einer Community-Struktur arbeitet und es irgendwann eurerseits eine Einladung geben könnte an alle, die interessiert sind.
Ja, wir wollen beispielsweise in die SK-Website ein Forum integrieren, ganz klein beginnen, und dann kann das wachsen. Wir haben natürlich als Netzwerkmitglieder und SK-Ausbildungsinstitute viele Kontakte mit Interessierten und sind auch schon vernetzt, denn es gibt Übungsgruppen, es gibt Intervisionsgruppen und so weiter. Da ist ja schon ein Community-Gedanke dahinter. Diese Menschen sollen alle eingeladen werden, sobald auf der Website die Plattform zur Verfügung steht.

Das ist eine gute Nachricht für alle, die darauf warten.
Ich würde jetzt gerne noch ein anderes Thema anschneiden. Ich war ja bei dir in der SK-Online-Sprechstunde. Könntest du bitte kurz erklären, was das ist, die SK-Online-Sprechstunde?

Ich biete die SK-Sprechstunde seit dem ersten Corona Lockdown an – also seit etwa März 2020. Ich habe damals gemerkt, dass sich viele Menschen sehr zurück gezogen hatten und ich befürchtet hatte, mir wichtige Kontakte zu verlieren. Ich kam nicht mehr so einfach zu den Menschen. Und dann hatte ich die Idee zur Sprechstunde, die für alle Menschen offen ist, die sich für SK interessieren. Man kann querbeet alles fragen und thematisieren, man kann auch andere Leute kennen lernen. Eine SK-Sprechstunde ist allerdings kein Ausbildungsseminar und auch keine Intervisionsgruppe. Die Sprechstunde ist sehr niederschwellig für alle offen: Für diejenigen, die zum allerersten Mal etwas von SK gehört haben, die sich sagen: Ja, ich kann jetzt viele Bücher lesen und ich kann Websites besuchen, aber ich möchte ein Gegenüber, ein Gesicht haben, um meine ersten Fragen klären zu können. Oder für Menschen, die sich informieren möchten über Aus-, Weiterbildungs- und Zertifizierungsmöglichkeiten oder sich überlegen, ob eine SK-Beratung und –Prozessbegleitung in Ihrer Situation sinnvoll wäre. Bis hin zu Menschen, die SK anwenden und vielleicht mit sehr spezifischen Fragen oder Umsetzungsstolpersteinen konfroniert sind, die sie gerne mit einem SK-Experten besprechen möchten. Das war die Idee zu dieser Sprechstunde.

Bist du zufrieden damit, wie es läuft?
Ja. Ich habe nicht erwartet, dass mir die Bude eingerannt wird. Das passiert auch nicht. Es freut mich aber sehr, dass das Angebot regelmässig genutzt wird und offenbar ein existierendes Bedürfnis aufnimmt. Ich finde es sehr spannend, weil ich neue Menschen kennenlerne, und manchmal kommen Menschen auch mehr als ein Mal in eine Sprechstunde. Und weil sie online stattfindet, ist das Angebot ortsunabhängig nutzbar. Ich werde dieses Angebot auch nach Corona aufrecht erhalten. Allerdings sollten auch nicht zu viele Menschen zugleich an einer Sprechstunde teilnehmen, damit alle Anliegen genug Platz haben.
Eine Übungsgruppe bespielsweise macht auch nur Sinn bis zu einer bestimmten Größe und wenn sie die überschreitet, dann ist sie nicht mehr so ergiebig. Vielleicht gibt es dereinst auch Übungs- und Intervisionsgruppen, die sich regional und lokal physisch treffen, nicht nur online.

In dieser Sprechstunde, an der ich teilgenommen hatte, hast du unter anderem vom "inneren Team" gesprochen und dass man SK auch mit diesem inneren Team machen kann. Jetzt weiß ich nicht genau, was damit gemeint ist und wie das mit SK und dem inneren Team gehen soll. Würdest du dazu bitte etwas sagen.
Ich versuche es kurz zu halten. Der Begriff "inneres Team" geht auf verschiedene Autoren zurück. Ich beziehe mich hauptsächlich auf das Modell von Friedemann Schulz von Thun, dem recht bekannten, deutschen Kommunikationswissenschaftler. Wir alle kennen Situationen, in denen wir uns entscheiden müssen. Wir fällen täglich um die 20‘000 Entscheidungen – kleinere alltägliche bis zu größeren lebenswichtigen. Und da gibt es manchmal Momente, wo es nicht so einfach ist, weil wir uns hin- und hergerissen fühlen. Um es mit Goethes Faust zu sagen: "Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust." Das kennen wir alle. Da meldet sich vielleicht in mir drin eine Stimme, die sagt: Das musst du einfach riskieren. Oder: Das stünde dir sicher gut. Und da gibt es vielleicht eine konträre Stimme, die sagt: Nein, bewahre, was schon da ist, bau auf Bewährtem auf. Je nach Situation tauchen mehrere solche Stimmen auf – laute und auch leisere, die uns in unterschiedliche Richtungen ziehen. Diese inneren Stimmen sind das sogenannte innere Team. Wenn diese inneren Anteile miteinander konsensieren, können sie Entscheidungen finden, die einen innerlich nicht zerreissen.

Ich kenne Leute, die an dieser Stelle Pro- und Kontra-Listen machen.
Ja, ich auch, aber das mache ich nicht, weil ich mich dann oft in einem ausgeglichenen Argumentationssumpf verheddere und dennoch nicht weiss, was ich nun entscheiden soll. Die inneren Stimmen, die alle berechtigte Aspekte verkörpern, kann man personifizieren und diese „Figuren“ miteinander konsensieren lassen. Das mache ich bei manchen Entscheidungen auch für mich selber. Also nicht nur rationale Pro- und Kontra-Punkte aufzählen. Sagen wir, ich habe in einer Entscheidungssituation eine innovative Stimme in mir, eine konservative Stimme, einen Familienmensch, einen Freiheitsliebenden und einen Gesundheitsbewussten. Wenn die Fragestellung, für die Lösungen gefunden werden sollen, geklärt ist, dann kann ich mit diesen inneren Teammitgliedern im Einzelcoaching arbeiten, indem ich sie externalisiere. Methodisch mache ich das gerne mit Stühlen, die ich im Kreis aufstelle. Ich beschrifte jeden mit einer dieser Stimmen, und die Person setzt sich dann nacheinander auf diese Stühle, nimmt die jeweilige Rolle ein und formuliert aus dieser Rolle heraus, ihre Interessen, ihre Wünsche, das, was ihr in der Situation wichtig ist. Man kann die Figuren wie in einem echten Team anschliessend miteinander Lösungsvorschläge entwickeln lassen. Es ist dann quasi wie eine Gruppe, die gemeinsam Lösungsvorschläge entwickelt und die Wünsche und Bedürfnisse aller Gruppenmitglieder mitberücksichtigt. Damit kann die Suche nach einer Lösung gelingen, die das innere Konfliktpotenzial möglichst klein hält. Genau wie bei anderen SK-Prozessen kann man davon ausgehen, dass eine mit all diesen Motiven konsensierte Lösung sich einem „inneren Konsens“ maximal annähert und dann auch am leichtesten umzusetzen ist. Verstehst du, was ich meine?

Ja absolut. Und wie machst du es, wenn du mit dir alleine bist? Anstelle von Stühlen könnte man doch auch Figürchen nehmen und sie vor sich auf den Tisch stellen, oder?
Ja das habe ich auch schon gemacht. Ich arbeite recht gerne mit solchen symbolischen Strukturaufstellungen, die nebst anderem auch innere Prozesse visualisieren können, denn sie sind flexibel modellierbar. Wenn ich es für mich mache, dann zeichne ich mir oft auf ein Blatt Ballone auf, schreibe die Figuren rein und was ihre Hauptanliegen, ihre Wünsche an eine gute Lösung sind. Zum Beispiel: Sei auf Sicherheit bedacht. Oder: Du weißt ja, dass ich sehr offen bin und es mir wichtig ist, Neuem gegenüber offen zu bleiben. Und dann gehe ich methodisch nach dem SK-Prinzip vor, erstelle die Konsensierungstabelle, entwickle Lösungen und lasse die Motive aus ihrer Sicht Lösungsvorschläge formulieren. Nach einer Bewertung jedes Vorschlags mit Widerstandsstimmen, die in der Tabelle eingetragen werden, erhalte ich ein aktuelles und differenziertes inneres Stimmungsbild. Und wenn Vorschläge hohe Widerstände haben, dann frage ich natürlich nach: Was steckt dahinter? Was kommt jetzt zu kurz? Das kann in einem iterativen Vorgehen schliesslich zur Lösung führen, mit der ich dann meist gut leben kann.

Das hat jetzt aber alles nichts mit gespaltener Persönlichkeit zu tun.
Nein, nein, es hat damit nichts zu tun. Es ist eine Tatsache, dass wir Menschen komplexe Wesen sind, und wir haben in uns drin verschiedene Bedürfnisse, Anliegen und Motivationen, die uns bewegen. Dass die sich, je nach Situation, auch widersprechen können, ist das Normalste auf der Welt. Eine Persönlichkeitsspaltung ist hingegen eine pathologische Störung, bei der dissoziative Identitäten entstehen, welche abwechslungsweise die Kontrolle über die Persönlichkeit übernehmen.

Ich finde, du beschreibst mit dem inneren Team sehr schön, was es heißt, Vielfalt zu leben. Vielfalt wird ja immer öfter als etwas Tolles und Wichtiges beschrieben, aber wenn wir ehrlich sind, haben wir nicht wirklich gelernt, was es heißt, sowohl nach innen als auch nach außen, in und mit Vielfalt zu leben.
Das höre ich auch oft: Heterogenität und Diversität, das ist eine gute Sache und das wollen wir nutzen, davon wollen wir profitieren. Und wenn ich dann nachfrage: Ja okay, und wie macht ihr das genau? Dann kommen oft lange Gesichter oder Schulterzucken. Und dann ist die Gefahr schon groß, dass in der Umsetzung dennoch eine Kampfsituation entsteht und eine mehrheitliche Eigenheit oder Meinung mehr wert sein möchte als eine andere. Da zeigt SK einen möglichen Ausweg, sowohl in realen Gruppen als eben auch bei innerem Hin- und Hergerissensein.

Diese Analogie zwischen innen und außen finde ich gerade ganz interessant. Und da fällt mir ein, wie wir unser Gespräch begonnen haben und du von der Haltung gesprochen hast und wie wichtig es ist, wie man Widerstand deutet, sowohl nach innen als auch nach außen.
Widerstände, auch innere, eigene, erzeugen ja zunächst nicht gerade das angenehmste Gefühl. Und die Frage ist, mit was für einer Haltung gehen wir an solche „Störfaktoren“ heran. Klar, man kann versuchen, sie zu übergehen, zu ignorieren, oder man kann sie wegdrücken und "totmachen". Sie sind dann aber nicht einfach weg und erledigt. Und das ist ja das Fatale, dass nämlich nicht beachtete Widerstände existent bleiben, wirken und das Klima vergiften können. Auf Dauer nicht erfüllte, nicht beachtete Bedürfnisse führen eben nicht zu Zufriedenheit. Das sollte Grund genug sein, sich ihrer anzunehmen, meine ich. Manchmal erlebe ich in Teams, dass Leute die Faust im Sack machen, resignieren oder sogar innerlich kündigen und sagen: Ach, ihr macht doch eh, was ihr wollt. Diese Menschen sind dann nicht im Boot und tragen daher oft auch nicht mit, was beschlossen wurde. Reibungsverluste, Krankheitsstände, verzögerte Projekte und andere Folgen davon kosten Organisationen mehr Geld, als man denkt. Das Phänomen lässt sich auch in der Politik beobachten, wenn du an die vielen „Nichtwählenden“ denkst.

Ich möchte dieses unangenehme Gefühl aufgreifen, das du angesprochen hast. Zum Beispiel in einer Gruppe, da will man doch nicht diejenige sein, die Widerstand zeigt und unangenehme Gefühle verursacht. Aber vielleicht muss man es aushalten, was meinst du?
Ich kann diese Bedenken gut nachvollziehen. Wer möchte schon von anderen als „unangenehm“ empfunden werden. Ich ermutige deshalb Menschen und Gruppen, dieses unangenehme Gefühl umzudeuten, wertzuschätzen und willkommen zu heißen, weil es ein Hinweis darauf ist, dass die aktuelle Situation oder Lösung noch nicht genügt. Es ist ein einfacher Indikator für noch nicht berücksichtigte Bedürfnisse und kann zuweilen auch eine echte Innovationsquelle sein. Was nicht auf den Tisch kommt, wirkt bekanntlich unbeeinflussbar unter dem Tisch weiter – meist nicht konstruktiv. Hingegen kann alles, auch zunächst Unangenehmes, was auf den Tisch kommt, einbezogen werden und muss sich nicht gegen die Gruppe, das System oder die Idee wenden, weil es gebührend Platz und Wertschätzung bekommt.
Dies kommt auch im Slogan, den ich für das weiter oben erwähnte Führungsseminar entwickelt hatte, zum Ausdruck: Mit Widerständen arbeiten, statt dagegen ankämpfen! Ich lade damit die Menschen dazu ein, Widerstände zu „umarmen“, denn sie sind eine Steuerungshilfe für den Bau von stimmigen, gemeinsamen und lebenswerten Wegen.
Ich bin ja auch Schauspieler und Regisseur, mache Improvisationstheater und setze oft Theaterelemente in meinen Angeboten ein. Im Improvisationstheater heißt es: Fehler sind Spielangebote und Türen zum Neuen, wenn man sie wertschätzt und darauf eingeht. Dafür muss man ein Risiko eingehen und vielleicht Ängste davor überwinden. Dies wird allerdings belohnt mit überraschenden, tollen Szenen und Geschichten. Und so ist auch der Widerstand zu sehen, denke ich: Nehmen wir ihn als Steilpass an, gewinnen wir eine erweiterte Dimension, die wir vorher noch nicht gekannt haben und können daran wachsen.

Danke für das Gespräch.

Website von Mathias Schwab:
https://prozessintervention.ch

Website SK-Netzwerk:
www.sk-prinzip.eu

   
 
   

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